Bericht: Verfassungsbeschwerde gegen Berliner Kammergesetz
Kippt die Teilrechtsfähigkeit durch ungleiches Handeln des Gesetzgebers?
Vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof fand heute die angekündigte mündliche Verhandlung statt.
Anwesend waren auf der Klägerseite von den vier klagenden Ärzten lediglich drei Ärzte, und zwar
- der Präsident der Berliner Ärztekammer (in Personalunion auch Aufsichtsausschussvorsitzender Berliner Ärzteversorgung) und
- der Vizepräsident der Berliner Ärztekammer (in Personalunion auch Verwaltungsausschussvorsitzender Berliner Ärzteversorgung) und
- der 2. Beisitzer im Vorstand der Berliner Ärztekammer (in Personalunion auch stellv. Aufsichtsausschussvorsitzender Berliner Ärzteversorgung
- und deren Rechtsanwalt, Herrn Prof. Dr. F. von der Kanzlei W & C.
Auf der Beklagtenseite waren in Vertretung für den Präsidenten des Abgeordnetenhauses Herr Regierungsdirektor S. und mit Herrn D. und Herrn Dr. F. zwei Senatsräte erschienen.
Das Gericht hatte den Parteien vor der Verhandlung einen umfangreichen Fragenkatalog zugestellt. In der mündlichen Verhandlung stand aus diesem Fragenkatalog heraus ein wohl neuer Aspekt intensiv im Blickpunkt: Nämlich, dass kurz nach Verabschiedung des geänderten Berliner Kammergesetzes am 19. Juni 2006, vom Berliner Abgeordnetenhaus am 06. Juli 2006 das Berliner Architekten- und Baukammergesetzes (ABKB) neu verabschiedet wurde und zwar ohne, dass dort in Bezug auf die Struktur der Versorgungswerke (§ 4 b Berliner Kammergesetz / § 15 ABKB) die gleichen oder ähnliche Regularien festgelegt wurden. Hier sind zu nennen
- Vermögenstrennung
- Teilrechtsfähigkeit
- Neukonzeption der Organe
- Transparenz und
- Vertrauen in die Neutralität der Amtsinhaber
Eine der Fragen war nun,
- ob unter Verfassungsgesichtspunkten beide Sachverhalte vergleichbar sind und falls ja,
- ob es sachliche Gründe gibt, die die Beibehaltung der Unterschiedlichkeit rechtfertigten,
- oder ob die Grenze hin zur Willkürlichkeit überschritten wurde?
Von der Senatsverwaltung wurde etwas quer erläutert, dass sich beide Senatsverwaltungen offensichtlich nicht abgestimmt haben. Während sich in der Senatsverwaltung für Gesundheit bereits ab dem Jahr 2003 Überlegungsgründe herausgebildet haben, um Ämterhäufungen zu beenden, gab es diese Entwicklung in der Senatsbauverwaltung nicht. Das Gericht interessierte sich jedoch nicht nur für die Vorgänge in den beiden Senatsverwaltungen, sondern einer der Richter frage dann nochmals konkret nach „einer“ Stellungnahme durch den Berliner Senat. Schließlich sei der Senat „ein Organ“. Aber auch diese Nachfrage führte dann nur zu dem Ergebnis, dass es „im Senat“ wohl keine einheitliche Abstimmung gegeben hat. Allerdings meinte einer der Beklagtenvertreter, dass ja auch die Möglichkeit bestehe, selbst bei einer kritischen Würdigung durch das Gericht nicht das geänderte Berliner Kammergesetz anzugehen, sondern statt dessen eine Anpassung des ABKB an das Kammergesetz der Heilberufe anzumahnen.
Seitens der Kläger wurde im Übrigen die Mutmaßung geäußert, dass die Änderung nicht aus sachlichen Gründen heraus erfolgte und das aus der ganzen Gesetzesänderung heraus keine derartigen Gründe erkennbar seinen. Vielmehr erfolgte die Änderung aus dem politischen Raum heraus, um Amtsinhabern „Steine in den Weg zu legen“. Wer dies aber konkret sein solle, wurde nicht dargelegt und das Gericht hat auch nicht danach gefragt. Die Senatsverwaltung wies dies aber zurück, auch im Hinblick, dass die Änderungsüberlegungen bereits im Jahr 2003 begannen.
Interessant war auch noch, dass die Kläger den Standpunkt vertraten, dass die neue Vertreterversammlung der Berliner Ärzteversorgung (welche sich aus der Delegiertenversammlung der Ärztekammer heraus noch nicht gebildet wurde), mit 12 Mitgliedern von der Kopfzahl her derart gering besetzt ist, dass es bei 26.000 Mitgliedern nicht möglich ist, auch Minderheitenlisten dort abzubilden.
Der Klägervertreter beantragte, § 4 b Abs. 5 Satz 5 des Berliner Kammergesetzes für „nichtig“ zu erklären.
Sollte dar Berliner Verfassungsgerichtshof zu der Einschätzung kommen, dass beide Kammergesetze und die dortigen Festlegungen zu den Versorgungswerken vergleichbar sind, so hatte ich den Eindruck, dass nicht nur dieser Satz, sondern möglicherweise auch die ganzen Änderungen des § 4 b zur Disposition stehen könnten. Dies könnte zur Nichtigkeit führen, aber auch, wie vom Beklagtenvertreter aufgeworfen, zu einer Anmahnung zur Änderung des Berliner Architekten- und Baukammergesetzes.
Das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. März 2002 (hier mehr), wurde in der mündlichen Verhandlung von keiner der Parteien auch nur im Ansatz erwähnt. Auch nicht in der mündlichen Verhandlung erwähnt wurde der Umstand, dass das Konstrukt der Teilrechtsfähigkeit nach meiner Meinung eigentlich nur eine Übergangsnotlösung darstellt, um die ärztlichen Versorgungswerke im Land Berlin in die Vollrechtsfähigkeit zu überführen (aber warum eben nicht auch die anderen berufsständischen Versorgungswerke?), was der Gesetzgeber aber nicht direkt tun konnte, sondern nur über diesen Umweg.
Ansonsten hat die mündliche Verhandlung für den unbeteiligten Zuhörer wohl nur einige Teilaspekte dieses spannenden Streitfalls zu Tage gefördert.
Obwohl ich eher dazu tendiere, Ämterhäufungen wie im Falle der Ärztekammer und deren Versorgungswerkes für unzweckmäßig zu halten, hat mich in dieser Verhandlung der Sachvortrag des Klägerrechtsanwaltes Herrn Prof. Dr. F. in Bezug auf die Vergleichbarkeit der beiden Kammergesetze und deren Versorgungswerke mehr überzeugt. Die Versorgungswerke beider Kammern werden übrigens auch von der gleichen Verwaltungsgesellschaft betreut.
Hinsichtlich des Sachvortrages betreffend der ursprünglichen Klagebegründung in Sachen „Inkompatibilitätsregelung“ (Verhinderung der Ämterhäufung) contra Recht auf freien Zugang zu öffentlichen Ämtern, überzeugten mich eher die Ausführungen der Beklagtenvertreter. Hier wurde vom Gericht in der Einleitung der Beklagtenstandpunkt dargelegt, dass es sich bei den Ehrenämtern in den Selbstverwaltungskörperschaften nicht um öffentliche Ämter im Sinne Artikel 19 der Berliner Verfassung handelte, wo sich Jedefrau und Jedermann um allgemeine politische Ämter bewerben könne, sondern um Ehrenämter, welche nur Mitgliedern der Selbstverwaltungskörperschaften offen stehen, also einem begrenzten Personenkreis. Außerdem sei der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt zu entscheiden, Ehrenämter einzuführen, diese abzuschaffen oder die Erlangung an Auflagen zu verknüpfen. Hinsichtlich des Punktes der Willkürlichkeit führte Herr Prof. Dr. F. aus, dass es sich bei den Gesetzgebungszielsetzungen „Transparenz“ und „Vertrauen in die Neutralität der Amtsinhaber“ zwar um politisch ehrenwerte Wünsche handelt, es sich rechtsstaatlich betrachtet aber letztendlich „Leerformen“ handelt und hier in diesem Fall keine ausreichende gesetzliche Begründung vorliegt. Zumindestens einen der Richter hatte ich in der Befragung jedoch so verstanden, dass dieser die Begründungen zum Gesetz schon derart schlüssig ansieht, dass keine Willkür vorliegt.
Man wird sehen, zu welchem Urteil das Gericht kommt. Mein nicht maßgeblicher Eindruck ist, dass die ursprüngliche Klage keinen Erfolg haben wird, denn hier stellen sich die klagenden Ärzte zu sehr selbst persönlich in den Mittelpunkt der Dinge. Das Einfallstor könnte jedoch die Sache mit dem ABKB sein, welche scheinbar erst später (?) Eingang in die Betrachtung gefunden hat und ich vermute, dass gerade dieser Punkt nicht ohne Grund intensiv in der mündliche Verhandlung erörtert wurde.
Eine Randbemerkung noch und was mir bisher auch noch nicht bekannt war: Im Jahr 1999 fand im Versorgungswerk der Ärztekammer eine Sonderprüfung mittels eines Wirtschaftsprüfers statt. Dadurch wurde „Missbrauch beendet“, welche der Ärztekammerpräsident auf Nachfrage des Gerichtes kurz mit den Begriffen „Immobilien“, „externe Berater“ und „Aufwandsentschädigungen“ und insgesamt zusammengefasst als „Selbstbedienungsmentalität“ beschrieb. Der Schaden soll aber „überschaubar“ gewesen sein. Jedenfalls haben er und der Vizepräsident diese Dinge beendet und damit auch den Beweis erbracht, dass gerade auch die in der Ärztekammer seit 40 Jahren bestehende Struktur geeignet ist, um Transparenz sicherzustellen. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass der Ärztekammerpräsident hier auch nicht tiefer erläuternd in die Frage einsteigen wollte. Mir selbst kommt dieses Argument eher auch wie ein Gegenargument vor? – Na egal, wer interessiert sich heute schon für anno dazumal *zwinker* ?
Die mündliche Urteilsverkündung erfolgt am
Mittwoch, 04. März 2009
um 14:00 Uhr
im Plenarsaal des Berliner Verfassungsgerichtshofes
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Hintergrundmaterialien:
- Verfassungsgerichtshof, Pressemitteilung vom 21.11.2008
- BZF: BÄV Überleitung in selbstständige KdöR?
- BZF: Berliner Kammergesetz: § 4 b Gesetzgebungs-Erläuterung
- BZF: VZB Überleitung in selbstständige KdöR