Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie bremsen Organspende

Dramatischer Einbruch bei der Organspende im 1. Quartal 2022

Nachdem sich die Organspendezahlen im vergangenen Jahr leicht positiv entwickelt hatten, vermeldet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) für das erste Quartal 2022 einen massiven Einbruch von 29 Prozent gegenüber demselben Vorjahreszeitraum. Die Anzahl der Organspender ist damit in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres auf 176 gesunken (Vergleichszeitraum 2021: 249). Gleichzeitig ging die Anzahl der in Deutschland postmortal entnommenen Organe um 28 Prozent auf 562 Organe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück. Insgesamt konnten in deutschen Transplantationszentren im ersten Quartal 600 Organe übertragen werden, die über Eurotransplant an die Patienten auf den Wartelisten vermittelt wurden. Das sind 194 Transplantationen weniger gegenüber dem Vorjahreszeitraum, was einem Rückgang von 24 Prozent entspricht.

Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, äußert sich zutiefst besorgt über die aktuell vorliegenden Organspendezahlen: „Vor dem Hintergrund, dass jedes einzelne Organ zählt und Leben retten kann, stehen wir vor einer dramatischen Entwicklung für die rund 8.500 Patienten auf den Wartelisten.“

Dieser Einbruch im ersten Quartal 2022 kam völlig unerwartet, zumal Deutschland bisher im Vergleich zu den meisten anderen Ländern ohne größere Einbußen durch die Pandemie gekommen ist. Die DSO hat somit in einem ersten Schritt im Zuge ihrer statistischen Erhebungen die möglichen Gründe für diese drastische Abwärtsentwicklung der Organspendezahlen analysiert, die zum Teil auch mit den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie kausal in Verbindung gebracht werden müssen:

Steigende COVID-19-Fallzahlen machen auch vor den Kliniken nicht halt

Die Arbeitsüberlastung in den Kliniken aufgrund des erhöhten Personalausfalls auf den Intensivstationen hat sich im Zuge der allgemein zunehmenden Inzidenzen in den ersten Monaten dieses Jahres drastisch verschärft. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass hierdurch weniger Organspenden realisiert werden konnten, als unter normalen Umständen möglich gewesen wären.

Weniger Zustimmungen zur Organspende

Insgesamt sind die Ablehnungen gegenüber einer Organspende in der Akutsituation auf den Intensivstationen um 11 Prozent gestiegen. Auch in den Angehörigengesprächen wird eine Organspende derzeit häufiger abgelehnt als noch im vergangenen Jahr. Lediglich in ca. 15 Prozent der Fälle liegt den Statistiken der DSO zufolge eine schriftliche Willensbekundung des potenziellen Spenders vor.

Medizinische Kontraindikationen durch SARS-CoV-2 nehmen zu

Auch die medizinischen Kontraindikationen, die eine Organspende ausschließen, haben um rund 11 Prozent zugelegt. Diese Zunahme steht in direkter Relation zu der gestiegenen SARS-CoV-2-Infektionsrate. Im Falle eines positiven Befundes wurden mögliche Spender noch bis vor kurzem von einer Organentnahme ausgeschlossen, da diese in der Regel als Folge einer schweren COVID-19-Erkrankung verstorben waren. In den letzten Wochen nahm allerdings die Zahl potenzieller Organspender, bei denen das SARS-CoV-2-Virus nur als Zufallsbefund nachgewiesen wurde, ohne dass die möglichen Spender diesbezüglich symptomatisch gewesen wären, deutlich zu, sodass sich die Zahl der Fälle, bei denen der Organspendeprozess wegen dieser Infektion abgebrochen wurde, im ersten Quartal 2022 gegenüber dem letzten Quartal 2021 nahezu verdoppelte. Internationale Erfahrungen zeigen, dass gerade in diesen Situationen auch bei positivem SARS-CoV-2-Befund eine Organspende unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist.
Entsprechend werden seit März im Einzelfall auch Organe von solchen Spendern im Eurotransplant-Verbund angeboten. Die Entscheidung über die Transplantation erfolgt im Transplantationszentrum wie immer unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko für die entsprechend aufgeklärten Empfänger.

Vorzeitiges Herz-Kreislaufversagen verhindert Organspende

Laut statistischer Auswertung der DSO ist ein weiterer wesentlicher Grund für den Rückgang der realisierten Organspenden in diesem Quartal eine beobachtete Häufung von organspendebezogenen Kontakten, bei denen es vor einer möglichen Feststellung des Todes durch Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls („Hirntod“) zu einem Zusammenbruch der Herz-Kreislauf-Funktion bei den Patienten gekommen ist (+44 Prozent). Die Organe der verstorbenen Spender müssen bis zur Entnahmeoperation künstlich durch intensivmedizinische Maßnahmen funktionsfähig gehalten werden. Versagt das Herz-Kreislaufsystem des Spenders vorzeitig, ist keine Organspende mehr möglich. Auch nahm die Zahl der Fälle um 20 Prozent zu, bei denen es nach einer Kontaktaufnahme des Krankenhauses zur DSO als Koordinierungsstelle zu keiner Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls kam.

Dringlicher Appell

Angesichts dieser schwierigen Situation ruft der Medizinische DSO-Vorstand alle Partner im Prozess der Organspende dazu auf, die Patienten auf den Wartelisten nicht aus dem Blick zu verlieren und sich gemeinsam weiter engagiert dafür einzusetzen, die Organspendezahlen in Deutschland trotz widriger Umstände wieder auf einen besseren Weg zu bringen: „Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen. Jeder von uns trägt hier eine große Verantwortung gegenüber den schwer kranken Menschen auf den Wartelisten. Aber auch ohne den Rückhalt, das Vertrauen und die aktive Zustimmung aus der Bevölkerung sind keine Organspenden möglich. Die Gemeinschaftsaufgabe Organspende gelingt nur, wenn alle mitmachen“, appelliert Rahmel.

 

Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation, Pressemitteilung vom 08.04.2022