Im Fokus: Die sogenannte doppelte Besteuerung von Renten (Kläger sind ein ehemaliger Zahnarzt und ein früherer Steuerberater)

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Hier ist das Verfahren:

Bundesfinanzhof: Information zur mündlichen Verhandlungen zur sogenannten doppelten Besteuerung von Altersrenten:

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Im Fokus: Die sogenannte doppelte Besteuerung von Renten

Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts:

Das Bundesverfassungsgericht 2 BvL 17/99 hat im Jahr 2002 die unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Sozialversicherungsrenten für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, eine gesetzliche Neuregelung zu schaffen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht 2 BvL 17/99, 2 BvR 1066/10 für die vom Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Neuregelung der Rentenbesteuerung zu treffenden Übergangsregelungen klargestellt: „In jedem Fall sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.“ Mit anderen Worten: Was bereits der Einkommensteuer unterlegen hat, darf kein zweites Mal, also doppelt besteuert werden. Wann von einer doppelten Besteuerung auszugehen ist, ist bislang zwar noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Klar ist allerdings, dass dies nicht der Fall ist, wenn der auf die voraussichtliche Laufzeit der Rente hochgerechnete steuerfrei verbleibende Teil der Altersbezüge höher ausfällt als die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beitragsleistungen.

Die gesetzliche Neuregelung zum 01.01.2005:

Der Gesetzgeber hat die Besteuerung der Alterseinkünfte zum 01.01.2005 umfassend neu geregelt. Die Neuregelung umfasst insbesondere die sogenannte Basisversorgung, zu der die gesetzliche Rentenversicherung, die landwirtschaftlichen Alterskassen, berufsständische Versorgungseinrichtungen (zum Beispiel Ärzteversorgung) und die sogenannte Rürup-Rente gehören. Diese Renten unterliegen gemäß § 22 EStG nicht mehr lediglich mit dem sogenannten Ertragsanteil der Besteuerung, sondern werden wie die Beamtenpensionen im Jahr der Zahlung im Grundsatz voll besteuert. Im Gegenzug sind die Einzahlungen in die Rente als Sonderausgaben steuerlich sofort abziehbar. Dieses Prinzip wird als nachgelagerte Besteuerung bezeichnet.

Zur Umsetzung dieser grundlegenden Umstellung der Rentenbesteuerung sieht das Gesetz eine Übergangsphase bis 2040 vor. In dieser wurde der Besteuerungsanteil der Renten zunächst – das heißt im Jahr 2005 – auf 50 % festgesetzt. Für Renten, die nach 2005 beginnen, wird der Besteuerungsanteil bis zum Jahr 2020 jährlich um 2 %, danach um 1 % erhöht. Die volle Steuerbarkeit greift im Jahr 2040 ein. Rentnerinnen und Rentner, die dann in Rente gehen, müssen ihre Basisversorgung voll versteuern. Für diejenigen, die ab 2005 Rente beziehen, wird der steuerfreie Anteil der Rente grundsätzlich festgeschrieben, regelmäßige Rentenerhöhungen werden nach der Gesetzeslage dagegen auch in der Übergangsphase voll besteuert. Entsprechend einer weiteren Übergangsregelung bis zum Jahr 2025 ist der Abzug der Aufwendungen für die Rente beschränkt (§ 10 Abs. 3 EStG), im Jahr 2005 auf 60 %. Der Betrag der abzugsfähigen Aufwendungen wird jährlich um 2 % erhöht, so dass erst im Jahr 2025 ein voller Abzug möglich ist.

Die aktuellen Klageverfahren (X R 20/19 und X R 33/19):

In den nunmehr zur mündlichen Verhandlung beim X. Senat des Bundesfinanzhofs anstehenden Verfahren rügen die Kläger eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung ihrer Renteneinkünfte. Insoweit gleichen sich die Streitfälle, sie weisen allerdings in vielen Einzelfragen erhebliche Unterschiede auf.

Zu beachten ist ferner, dass der X. Senat über zwei Einzelfälle entscheidet. Dabei wird er die individuelle Situation der Kläger betrachten und prüfen, ob im konkreten Einzelfall eine doppelte Besteuerung vorliegt und in diesem Zusammenhang die für seine Entscheidung maßgeblichen Fragen beantworten. Anders formuliert: Der Bundesfinanzhof befindet nicht über die Rechtmäßigkeit der Besteuerung aller Rentnerinnen und Rentner. Er entscheidet auch nicht über die Rechtmäßigkeit der Rentenbesteuerung für Rentnerjahrgänge ab 2040, die ihre Renten voll zu versteuern haben, ihre Beiträge hierfür aber nur in den Jahren 2025 bis 2039 bis zum gesetzlichen Höchstbetrag ohne prozentuale Beschränkung abziehen konnten.

Worum geht es in dem Verfahren X R 20/19?

Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger war freiberuflich tätig und daher Pflichtmitglied eines berufsständischen Versorgungswerks. Außerdem blieb er freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Kläger erhielt im Streitjahr 2009 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente und Zusatzleistungen aus der dortigen Höherversicherung. Zudem bezog er mehrere „Rürup“-Renten und zahlreiche Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten. Das beklagte Finanzamt setzte für die gesetzliche Altersrente einschließlich der Leistungen aus der Höherversicherung den sich hierfür ergebenden „Besteuerungsanteil“ von 58 % an. Im Hinblick auf seine hohen Beitragsleistungen in zwei Versorgungssysteme wandte das Finanzamt die sogenannte Öffnungsklausel an, die es ermöglicht, in bestimmten Konstellationen für einen Teil der Altersrente die steuerlich günstigere Ertragsanteilsbesteuerung beanspruchen zu können. Im Streitfall führte das dazu, dass knapp die Hälfte der gesetzlichen Rente mit einem Ertragsanteil von nur 20 % erfasst wurde. Die „Rürup“-Renten wurden mit dem Besteuerungsanteil, die sonstigen privaten Leibrenten – wie vom Gesetz vorgesehen – mit dem Ertragsanteil in Ansatz gebracht.

Die Kläger wenden sich gegen die Höhe der Besteuerung ihrer Alterseinkünfte. Sie gehen davon aus, dass die Höherversicherung ein von der gesetzlichen Altersrente losgelöstes eigenes Rentenrecht begründe und die Leistungen hieraus in vollem Umfang mit dem Ertragsanteil von nur 20 % zu besteuern seien. Sie halten zudem die Öffnungsklausel für nicht anwendbar, da der hierfür erforderliche Antrag von ihnen nicht gestellt worden sei. Nach ihren Berechnungen seien die gesetzliche Altersrente, eine der „Rürup“-Renten und diverse Renten aus privaten Versicherungen in verfassungswidriger Weise doppelt besteuert worden, das heißt, die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beiträge fielen höher aus als der steuerfreie Teil der zu erwartenden Rentenzahlungen.

Welche konkreten rechtlichen Fragen stellen sich in dem Verfahren X R 20/19?

Der Bundesfinanzhof wird sich in dem Verfahren mit mehreren, die doppelte Besteuerung von Altersrenten berührenden Rechtsfragen auseinanderzusetzen haben. So wird unter anderem zu beantworten sein, wie Zahlungen der Deutschen Rentenversicherung aus der Höherversicherung gemäß § 269 SGB VI – eine bereits seit mehr als 20 Jahren abgeschaffte, aber in Bezug auf die Beiträge bestandsgeschützte Versicherung der 1950er Jahre – im Rahmen der Regelungen zu den Alterseinkünften (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG) zu besteuern sind. Diese nicht dynamisierten Zusatzleistungen (sogenannte Steigerungsbeträge) beruhen auf freiwilligen Beiträgen und werden im Unterschied zur Altersrente nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet.

Ein weiterer Schwerpunkt: Zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung sieht die Öffnungsklausel die Möglichkeit vor, unter bestimmten Voraussetzungen einen Teil der Alterseinkünfte nur mit dem günstigeren Ertragsanteils zu besteuern. Betroffen sind Fälle, in denen sehr hohe Beiträge in die Altersvorsorgesysteme eingezahlt wurden und daher zu vermuten ist, dass gemessen an der Höhe der Rentenansprüche zu geringe Beiträge steuerlich abziehbar waren. Allerdings verlangt das Gesetz, dass die oder der Steuerpflichtige von sich aus tätig wird, das heißt beim Finanzamt die Anwendung der Öffnungsklausel beantragt. Der Bundesfinanzhof wird über die Anforderungen an einen solchen Antrag zu befinden haben. Er wird sich gegebenenfalls auch dazu äußern müssen, wie sich ein nicht gestellter Antrag auf die Beurteilung auswirkt, ob die Altersrente doppelt besteuert wurde.

Ferner wird der Bundesfinanzhof dazu Stellung beziehen, ob sich bei Leibrenten aus privaten Kapitalanlageprodukten im Hinblick auf deren Besteuerung mit dem Ertragsanteil die Frage einer doppelten Besteuerung systematisch ergeben kann. Das Finanzgericht hatte für mehrere vom Kläger bezogene Renten dieser Form eine doppelte Besteuerung für das Streitjahr von insgesamt 100 € errechnet, diesen Betrag jedoch als lediglich geringfügig und daher als von den Klägern hinzunehmen angesehen.

Worum geht es in dem Verfahren X R 33/19?

Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger war als Angestellter zunächst Pflichtmitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er blieb dies auf Antrag auch während seiner späteren Tätigkeit als Freiberufler. Der Kläger bezieht seit Ende des Jahres 2007 eine gesetzliche Altersrente, die das beklagte Finanzamt im Streitjahr 2008 mit dem Besteuerungsanteil von 54 % berücksichtigte.

Die Kläger wenden hiergegen ein, in Anbetracht des hohen aus versteuertem Einkommen erbrachten Teils von Beiträgen an die gesetzliche Rentenversicherung führe der Ansatz eines steuerpflichtigen Anteils von 54 % zu einer unzulässigen doppelten Besteuerung der Altersrente. Dies begründen sie damit, dass die aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgebeiträge höher ausgefallen seien als der steuerfreie Teil der zu erwartenden Rentenzahlungen.

Welche konkreten rechtlichen Fragen stellen sich in dem Verfahren X R 33/19?

Der Bundesfinanzhof befasst sich zum zweiten Mal mit diesem Fall. Die erste Entscheidung des Finanzgerichts hatte er mit Urteil vom 21.06.2016 (X R 44/14, BFHE 256, 545), in dem er zahlreiche bislang noch nicht abschließend geklärte Detailfragen zur doppelten Besteuerung aufgezeigt hatte, aufgehoben.

Der Bundesfinanzhof wird sich im jetzigen Revisionsverfahren mit mehreren dieser Detailfragen zu den Berechnungsparametern einer etwaigen doppelten Besteuerung von Altersrenten auseinandersetzen. So wird das Gericht voraussichtlich darüber entscheiden, ob bestimmte durch das Gesetz steuerfrei gestellte Beträge bei der Ermittlung des steuerunbelastet zufließenden Teils der Rente einzubeziehen sind und diesen somit erhöhen. Hierzu zählen vor allem der Grundfreibetrag und die abziehbaren Krankenversicherungsbeiträge. Ungeklärt ist zudem, ob Ansprüche aus einer späteren Hinterbliebenenversorgung des statistisch länger lebenden Ehegatten zu berücksichtigen sind. Ferner sind weitere Ausführungen des Bundesfinanzhofs zu der Frage zu erwarten, wie im Einzelnen zu bestimmen ist, ob oder inwiefern Altersvorsorgeaufwendungen in der Erwerbsphase aus versteuertem Einkommen geleistet wurden oder durch einen Sonderausgabenabzug steuerlich unbelastet erbracht werden konnten.

Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der ab 2005 geltenden Rentenbesteuerung:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist die Übergangsregelung für die Besteuerung von Leibrenten aus der Basisversorgung (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG) grundsätzlich verfassungsgemäß. Dabei hat der Bundesfinanzhof in Bezug auf die allgemeine Ausgestaltung der Übergangsregelungen ausdrücklich auch gröbere Typisierungen und Generalisierungen als zulässig angesehen. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz ist nicht verletzt, auch wenn die Übergangsregelung trotz der unterschiedlichen einkommensteuerlichen Vorbelastung der Beiträge nicht zwischen vormals Selbständigen und vormaligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern differenziert. Das Bundesverfassungsgericht hat diese langjährige Rechtsprechung im Jahr 2016 ausdrücklich bestätigt.

Bereits geklärte Fragen zur sogenannten doppelten Besteuerung von Renten:

1. Durch die Rechtsprechung geklärt ist, dass Rentenzahlungen nicht der Besteuerung unterworfen werden dürfen, soweit die zugrundeliegenden Beitragszahlungen aus versteuertem Einkommen geleistet worden sind. Eine verfassungsrechtliche Prüfung kann allerdings nicht bereits in der Beitragsphase erfolgen.

2. Die oder der Steuerpflichtige kann eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung erstmalig bei Beginn des Rentenbezugs rügen. Es kann nicht unterstellt werden, dass zu Beginn des Rentenbezugs zunächst nur Rentenzahlungen geleistet werden, die sich aus steuerentlasteten Beiträgen speisen.

3. Legt die oder der Steuerpflichtige die aus ihrer oder seiner Sicht bestehende doppelte Besteuerung hinreichend substantiiert dar, müssen das Finanzamt und im Fall eines gerichtlichen Steuerstreits das Finanzgericht einzelfallbezogen ermitteln und prüfen, ob tatsächlich eine doppelte Besteuerung vorliegt.

4. Die „Beweislast“ für das Vorliegen einer verfassungswidrigen doppelten Besteuerung trägt die oder der Steuerpflichtige.

5. Kann die oder der Steuerpflichtige im Einzelfall nachweisen, dass es zu einer doppelten Besteuerung kommt, kann ihr oder ihm aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Anspruch auf eine Milderung des Steuerzugriffs in der Rentenbezugsphase zukommen. Wie ein solcher Anspruch konkret ausgestaltet ist, brauchte der Bundesfinanzhof bislang noch nicht entscheiden.

Noch offene Fragen zur doppelten Besteuerung von Renten:

1. Im Zusammenhang mit der Ermittlung des steuerfrei gestellten Rententeilbetrags ist offen,

  • ob allein die durchschnittliche weitere statistische Lebenserwartung der oder des Steuerpflichtigen relevant ist oder auch die auf statistischen Durchschnittswerten beruhende Lebenserwartung des Ehegatten mit Anspruch auf Hinterbliebenenrente zu berücksichtigen ist,
  • der Werbungskostenpauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 3 EStG) als zusätzliche Steuerfreistellung anzusehen ist,
  • ob die Grundfreibeträge, Sonderausgabenabzüge für die aus der Rente zu zahlenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sowie die steuerfrei bleibenden Zuschüsse der Rentenversicherungsträger zu den Krankenversicherungsbeiträgen (§ 3 Nr. 14 EStG), die der oder dem Steuerpflichtigen während des Rentenbezugs zustehen, zu berücksichtigen sind.

2. In Bezug auf die Ermittlung des aus versteuertem Einkommen geleisteten Teil der Altersvorsorgeaufwendungen ist insbesondere offen,

  • ob die jeweils geltenden Höchstbeträge für den Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen auch durch Beiträge zu Lebens-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen sowie privaten Krankenversicherungen, deren Leistungen über das Versorgungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen, aufgezehrt werden,
  • wie der Vorwegabzug bei den Sonderausgaben in Fällen der Zusammenveranlagung von Ehegatten zuzuordnen ist,
  • ob aus dem geleisteten Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung solche Ansprüche herauszurechnen sind, die kalkulatorisch nicht auf den Erwerb eines Anspruchs auf Altersrente entfallen.