Zum Urteil des Sozialgerichts über die Wirtschaftlichkeitsprüfung

Am 02.10.2015 erschien auf der Internetseite der Initiative Unabhängige Zahnärzte Berlin (IUZB) eine Meldung zu einem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30.09.2015. Das Urteil hebt einen Honorarrückforderungsbescheid des Beschwerdeausschusses für die Wirtschaftlichkeitsprüfung auf. Die Meldung des IUZB hat in der Fachöffentlichkeit zu einer Debatte darüber geführt, welche Aussagen der Entscheidung entnommen und welche Schlussfolgerungen aus ihr gezogen werden können.

In dem Gerichtsverfahren habe ich den klagenden Vertragszahnarzt vertreten. Ich kann also „aus nächster Nähe“ vom dem Verfahren berichten. Der IUZB war so freundlich, meine Ausführungen zu veröffentlichen.

Es ging in dem Verfahren um die Frage, ob ein Bescheid des Beschwerdeausschusses für die Wirtschaftlichkeitsprüfung rechtmäßig ist. In dem Bescheid war ein (angeblich) unwirtschaftliches Verhalten des klagenden Vertragszahnarztes mit der Methode der Durchschnittwertprüfung festgestellt worden. Bei dieser Methode wird das durchschnittliche Fallhonorar des Vertragszahnarzt mit dem durchschnittlichen Fallhonorar der Berliner Vertragszahnärzte verglichen. Überschreitet der Vertragszahnarzt den Durchschnitt seiner Berliner Kollegen um 40% oder mehr, so sei – so der Beschwerdeausschuss – von einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise auszugehen, es sei denn, der Vertragszahnarzt könne überzeugend darlegen, worauf sich seine atypische Behandlungsweise gründet.

Das Gericht machte in der mündlichen Verhandlung deutlich, dass es die Durchschnittwertprüfung für nicht anwendbar hält. Es stehe dem Beschwerdeausschuss nämlich nicht frei darüber zu entscheiden, welcher Prüfmethode er sich bedient. Anwendbar seien nur Methoden, die in der zwischen der KZV und den Verbänden der Kassen abgeschlossenen Prüfvereinbarung genannt seien, nämlich nur die „repräsentative Prüfung“ und die „Prüfung anhand einzelner Behandlungsfälle“.

Der klagende Vertragsarzt hatte übrigens im gesamten Verlauf des Verfahrens – also schon in der mündlichen Anhörung vor dem Beschwerdeausschuss – auf dieses Problem hingewiesen. Der Beschwerdeausschuss hätte also ausreichend Zeit gehabt, eine in der Prüfvereinbarung vorgesehene Prüfmethode anzuwenden. Er vertrat jedoch bis zuletzt die Ansicht, er könne sich über die Prüfvereinbarung hinwegsetzen, weil die dort genannten Methoden – seiner Meinung nach – „praktisch nicht durchführbar“ seien.

Damit spielt der Beschwerdeausschuss auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur „repräsentative Prüfung“ an. Darin verlangt das BSG, dass die Prüfinstanz 20% der Fälle des Zahnarztes im Einzelnen prüft und genau ermittelt, worin im jeweiligen Fall die Unwirtschaftlichkeit liegt. Die Auswahl der Fälle muss nach dem Zufallsprinzip erfolgen. Zudem müsse die Prüfinstanz ihre Erkenntnisse im Prüfbescheid im Einzelnen darlegen. Erst wenn diese zufallsgesteuerte Einzelfallprüfung erfolgt und im Bescheid nachvollziehbar dargestellt ist, erlaubt das BSG eine darauf aufbauende Hochrechnung auf die Gesamtheit aller Fälle des Zahnarztes. Der Beschwerdeausschuss vertritt dazu die Auffassung, dass sich eine derart große Zahl von zu prüfenden Behandlungsfällen „praktisch nicht durchführen lässt“.

Das Sozialgericht Berlin war demgegenüber der Auffassung, dass sich der Beschwerdeausschuss an die Vorgaben der KZV und der Kassen und auch an die vom BSG im einzelnen herausgearbeiteten Prüfungsschritte halten muss. Insbesondere müsse er sich so organisieren, dass er in der Lage sei, die anfallenden Arbeitsmengen zu bewältigen. Folgerichtig hob das Gericht den Honorarkürzungsbescheid auf.

Das Urteil betrifft einen ganz bestimmten Einzelfall. Es sagt nichts zu der Arbeit des Beschwerdeausschusses im allgemeinen oder zu anderen Prüfverfahren. Der Beschwerdeausschuss hat aber in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht deutlich gemacht hat, dass er sich außer Stande sieht, eine vertraglich vorgesehene Prüfmethode anzuwenden. Bei dieser Haltung ist durchaus der Schluss gerechtfertigt, dass jeder Zahnarzt, der derzeit auf wirtschaftliche Behandlungsweise geprüft wird, überlegen sollte, bis vor das Sozialgericht zu ziehen. Dazu ist zunächst einmal erforderlich, keinen sogenannten Vergleich mit der Prüfungsstelle oder dem Beschwerdeausschuss abzuschließen. Dann ist der Fall nämlich zu Ende. Vielmehr gilt es, einen Bescheid der Prüfungsstelle abzuwarten und dagegen Widerspruch einzulegen. Dabei kommt es noch nicht einmal darauf an, ob der Bescheid der Prüfungsstelle rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Denn der für die Entscheidung über den Widerspruch zuständige Beschwerdeausschuss wird – nach eigener Aussage – in der Entscheidung über den Widerspruch eine nicht erlaubte Prüfmethode anwenden. Es besteht also die begründetet Annahme, dass ein eventuell rechtmäßiger Bescheid der Prüfungsstelle jedenfalls durch die Bearbeitung durch den Beschwerdeausschuss fehlerhaft wird. Dieser fehlerhafte Bescheid muss dann mit der Klage vor dem Sozialgericht angegriffen werden.

Im dem von mir betreuten Verfahren war übrigens schon der Ausgangsbescheid der Prüfungsstelle rechtswidrig, weil auch sie die strengen Vorgaben, die das BSG an die Durchführung der „Einzelfallprüfung mit Hochrechnung“ stellt, nicht eingehalten hatte. Nach meiner persönlichen Einschätzung dürfte sich diese Fehlerhaftigkeit auch in anderen Bescheiden finden. Ich darf aber hinzufügen, dass eine Entscheidung der Prüfungsstelle niemals – also auch nicht in dem von mir betreuten Verfahren – Gegenstand einer Gerichtsentscheidung sein wird. Das Gericht urteilt einzig und allein über den Bescheid des Beschwerdeausschusses.

Trotz alledem ist natürlich vor überzogenen Erwartungen an das Urteil zu warnen. Erstens liegen die schriftlichen Urteilsgründe derzeit (20.10.) noch nicht vor. Möglicherweise ergebenen sich daraus noch neue Erkenntnisse. Zweitens kann der Beschwerdeausschuss Berufung zum Landessozialgericht einlegen. Mit einer Entscheidung wird dann wohl frühestens Anfang 2017 zu rechnen sein. Drittes ist jedes Prüfverfahren ein Einzelfall. Stets ist es erforderlich, sich den ergangenen „Kürzungsbescheid“ genau anzusehen und zu prüfen, ob der Inhalt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Immerhin könnten Prüfungsstelle und Beschwerdeausschuss ihre Prüftätigkeit in Zukunft den Anforderungen des Gerichts und damit der Prüfvereinbarung anpassen. Schließlich könnten die Partner der Prüfvereinbarung – also die KZV und die Kassenverbände – kurzfristig zusammentreten und in die Prüfvereinbarung ein vom Beschwerdeausschuss gewünschtes Verfahren aufnehmen. Dann wären jedenfalls zukünftige Entscheidungen an ganz anderen juristischen Maßstäben zu messen. Aber bis es soweit ist, tun alle geprüften Vertragszahnärzte meines Erachtens gut daran, gegen die Prüfbescheide vorzugehen.

Berlin, den 21.10.2015

Torsten Münnch

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
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Redaktioneller Hinweis:

Wir bedanken uns bei Herrn Rechtsanwalt Münnch für seinen Gastbeitrag.