Bericht von der DAZ-IUZB Jahrestagung 2013

Wir möchten uns ganz herzlich bei allen Gästen unserer gestrigen DAZ-IUZB Jahrestagung bedanken und selbstverständlich hiermit auch nochmals bei dem Referenten
Herrn Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske für seinen informativen und, man mag es bei dem Thema  vorher vielleicht gar nicht erwartet haben, unterhaltsam gehaltenen Vortrag.

Für alle interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer und alle diejenigen, die leider nicht dabei sein konnten, veröffentlichen wir nachstehend das Skript seines Vortrages:

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Die Zahnmedizinische Versorgung in Gesellschaften längeren Lebens – Zur Bedeutung der Prävention, insbesondere bei älteren Menschen

Von Gerd Glaeske, Bremen

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Frau Dr. Schätze (DAZ) und Herr Gneist (IUZB) eröffnen die gemeinsame Jahrestagung

Dass ein demographischer Wandel in die Richtung „viele immer älter werdende Menschen und immer weniger jüngere Menschen“ existiert, ist zum heutigen Zeitpunkt keine Neuigkeit mehr. Die Versorgungsforschung beschäftigt sich seit einiger Zeit mit diesem veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die auch die Prävalenz ganz bestimmter Krankheiten erhöhen wird: So wir die Häufigkeit altersbedingter Krankheiten wie Demenz oder Parkinson ebenso ansteigen wie altersassoziierte Krankheiten wie Diabetes, Hypertonie, Angina pectoris oder auch Depression und Abhängigkeitserkrankungen.

Die Versorgungsforschung gewinnt auch in der Zahnmedizin zunehmend an Bedeutung. Die noch recht jungen, aber stetig wachsenden Erkenntnisse über den Zusammenhang von Mundgesundheit und Allgemeingesundheit sowie die Bedeutung der Zahnmedizin für die Lebensqualität sind ein erstes Ergebnis. Hinzu kommt, dass die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zahnärztlicher Tätigkeiten auch aus ökonomischer Sicht nicht zu unterschätzen sind. Eine Optimierung der Versorgungsstrukturen, -prozesse und -konzepte können neben einer Verbesserung der Lebensqualität auch Kosten im Gesundheitswesen reduzieren.

Daher gibt es gute Gründe für eine intensivere Zusammenarbeit von Zahnmedizin und Medizin.

Vor dem Hintergrund der oben genannten Zukunftssituation und der bereits heute bemerkbaren Auswirkungen des demographischen Wandels muss nach Wegen und Lösungen besserer und optimierter Versorgung gesucht werden. Ein wichtiges Ziel ist in diesem Zusammenhang die Verbesserung der Zusammenarbeit von Zahnmedizin und Medizin. Die Mundgesundheit von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen ist unzureichend. Vor allem in Pflege- und Altenheimen kommt die Zahnpflege oft zu kurz. Dabei ist es bekannt, dass Parodontitis negative Auswirkungen auf Erkrankungen gerade älterer Menschen wie zum Beispiel Diabetes oder Hypertonie entwickeln kann.

Wie auch die Allgemeingesundheit, wird die Mundgesundheit von somatischen, sozialen Umfeld,-  und Verhaltensrisiken beeinflusst. Die Mundgesundheit wiederum wirkt sich auf die Allgemeingesundheit aus. Die Parodontitis steht hierbei an erster Stelle: Diese Entzündung des Zahnhalteapparates begünstigt die Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen, Erkrankungen der Atemwege v.a. der Lunge, Schlaganfällen, rheumatologischen Erkrankungen oder auch einen negativen Verlauf des Diabetes.

Über 30 Gäste fanden den Weg in die "Alte Feuerwache"

Über 30 Gäste fanden den Weg in die „Alte Feuerwache“

Zahnkaries und Parodontitis sind ebenso vom Verhalten der Menschen abhängig, wie auch wichtige chronische Erkrankungen aus der Allgemeinmedizin (Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Adipositas).

Für Koronare Herzkrankheiten (KHK) und Diabetes mellitus gelten teilweise identische Verhaltensrisiken wie für die Entstehung von Karies oder Parodontitis. Dazu zählen Ernährungsgewohnheiten (Zucker, Fett, Säuren), Rauchen und Stress. Dabei riskieren Raucher mit einer Odds ratio von 2,5-6,0 ein bis zu sechsfach erhöhtes Risiko gegenüber Nichtrauchern, an einer Parodontitis zu erkranken. Parodontitis wiederum erhöht das Risiko um ein Vierfaches an einer KHK zu erkranken.

Das soziale Umfeld ist ein wesentlicher Risikofaktoren sowohl für KHK und Diabetes als auch für Karies und Parodontitis. Ein niedriges Einkommen und einfache Schulbildung können die Entstehung der genannten Krankheiten erheblich begünstigen.

Somatische Einflussgrößen wie Diabetes mellitus, Übergewicht, Geschlecht oder genetische Ursachen sind Risikofaktoren für KHK, Diabetes mellitus, Karies und Parodontitis. Somit wird auch bei diesen Risikofaktoren deutlich, dass für Medizin und Zahnmedizin viele Risikofaktoren identisch sind. Vor diesem Hintergrund gewinnen Allgemeinerkrankungen auch in Zahnarztpraxen immer mehr an Bedeutung. Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von Zahnärzten (N=1626) zeigen, dass Allgemeinerkrankungen in der zahnärztlichen Therapie von sehr wichtiger (26,7%) oder wichtiger (56,5%) Bedeutung sind.

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Zwischenfragen waren jederzeit möglich und sorgten so für einen „lebendigen“ Verlauf

Hieraus lässt sich interpretieren, dass in den meisten Zahnarztpraxen erkannt wurde, wie wichtig eine fachübergreifende  Behandlung der Patienten ist. Die Allgemeingesundheit der zahnärztlichen Patienten steht damit immer mehr im Mittelpunkt der Behandlung.

Unterschiedliche Studien zeigen eine Assoziation des Blutzuckerspiegels bei Nicht-Diabetikern und Parodontitis. So berichten Ergebnisse einer Studie, dass der HbA1c-Wert mit der Tiefe der Sondierung steigt. Grundlegend wird deutlich, dass Parodontitis die Stoffwechselkontrolle bei Diabetikern stört und auch umgekehrt Parodontitis bei Nicht-Diabetikern ein erhöhtes Risiko mit sich bringt, an Diabetes mellitus zu erkranken. (ebd.).

Mit steigendem Schweregrad der Parodontitis steigt auch bei Diabetikern das Sterberisiko. Diabetiker mit einer fortgeschrittenen Parodontitis haben ein 2,3-fach erhöhtes Risiko an ischämischen Herzerkrankungen und ein 8,5-fach erhöhtes Risiko an Nierenerkrankungen zu sterben. (Deschner et al. 2011, zit. n. Saremi et al. 2005). Daraus lässt sich schließen, dass die Zahnmedizin ein gleiches Interesse wie auch die Medizin an erfolgreichen Diabetestherapien haben sollte.

Was bedeutet das für die Zusammenarbeit von Ärzten und Zahnärzten?

Im Rahmen ihrer Tätigkeit befassen sich Hausärzte oder Diabetologen vorrangig mit der Diagnose Diabetes mellitus. Bereits anamnestisch gilt es hier auf mögliche Symptome einer Parodontitis hinzuweisen bzw. diese in der Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt zu erfassen. Mögliche Symptome sind: Blutungen, Rötungen, Schwellungen, Halitose im Mund? Lockerung, Wanderung oder Verlust der Zähne? Für den Zahnarzt ist es wichtig zu wissen, an welchem Typ Diabetes der Patient erkrankt ist, wie erfolgreich die Therapie verläuft und ob und welche Komplikationen auftreten. Für eine erfolgreiche Therapie der Parodontitis ist eine hohe Patientencompliance auch bei der häuslichen Mundhygiene gefragt. Das Reinigen der Zähne und Zahnzwischenräume zu Hause ist ein wichtiger Bestandteil der Prävention und Parodontitistherapie. Das Gleiche gilt für die Kontrolle des Blutzuckerspiegels. Je besser der Patient zu Hause mitarbeitet, umso besser die Aussichten auf eine erfolgreich anhaltende Therapie.

Eine gute Zusammenarbeit von Ärzten, Zahnärzten und Patienten erhöht die Wahrscheinlichkeit auf einen Langzeiterfolg der Therapie von Parodontitis und Diabetes mellitus.

Auch der Zahnarzt sollte bei Verdacht auf einen Diabetes mellitus den Patienten immer darauf hin weisen und eine Überweisung veranlassen. Dieser Verdacht kann schon durch einfache Merkmale entstehen: Ernährungszustand, starkes Schwitzen, Durstgefühl, der Hautzustand und natürlich die orale Anamnese.

Herr Prof. Dr. Glaeske im Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Oesterreich, welcher sich selbst in der Thematik engangiert. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an den Vizepräsidenten der BZÄK für seine Teilnahme.

Herr Prof. Dr. Glaeske im Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Oesterreich, welcher sich selbst in der Thematik engangiert. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an den Vizepräsidenten der BZÄK für seine Teilnahme.

Zahnmedizinische Versorgung bei pflegebedürftigen Personen  

Die zahnmedizinische Versorgung von Senioren gestaltet sich im besten Fall als Prozess, beginnend im „fitten“ Seniorenalter bis hin zur Pflegebedürftigkeit und endet schließlich mit dem Ableben des Patienten. Ziel ist es in jeder Phase des Alterns eine bedarfsadäquate und qualitativ hochwertige zahnmedizinische Versorgung zu ermöglichen. Der geriatrische Versorgungsumfang der Zahnärzte erweitert sich ständig in der Patientenzahl, so zum Beispiel um ca. 91.000 pflegebedürftige Menschen von 2007 bis 2009. Von dem im Jahr 2009 bekannten 2,4 Millionen Pflegebedürftigen lebten 31% in vollstationären Pflegeheimen und 69% zu Hause.

Es lassen sich zudem auch regionale Unterschiede erkennen. Heimbewohner in ländlichen Regionen haben überwiegend eine schlechtere Mundgesundheit als Heimbewohner im Stadtbereich. Die körperlichen Fähigkeiten der Senioren höheren Alters sind in den meisten Fällen eingeschränkt und lassen eine selbstständige Mundhygiene oft nicht zu. Diese Einschränkungen führen zu deutlich erhöhten Erkrankungsrisiken der Mundhöhle und damit auch des gesamten Körpers.

Zu der Immobilität kommt oft eine demenzielle Erkrankung. Vor allem diese beiden Aspekte erschweren das Aufsuchen einer Zahnarztpraxis.

Die Zahnmedizin sieht in der Versorgung Pflegebedürftiger drei Kernprobleme.

  • Das erste Problem ist der ständig weiter steigende Bedarf an Prävention und Versorgung. Immer mehr ältere Menschen haben natürliche Zähne die entsprechen gepflegt werden müssen.
    Schränkt sich die Mundpflege ein, so verschlechtert sich die Mundgesundheit relativ rasch. Schmerzen, Kaufunktionsstörungen und eine dadurch sich verschlechternde Lebensqualität sind die Folgen. Eine entsprechende Behandlung mit Zahnersatz ist auf Grund der schlechteren Mobilität der Pflegebedürftigen kaum möglich. Ähnliches zeigen auch die Ergebnisse einer Studie über die Mundgesundheit von Menschen mit Behinderungen in Heimen.
  • Der zweite Aspekt betrifft den Zusammenhang von Mundgesundheit und allgemeiner Gesundheit. Erkrankungen in der Mundhöhle sind oft Eintrittspforten für Bakterien und können vor allem Einfluss auf internistische Erkrankungen ausüben. Zum Beispiel kann Plaque durch Aspiration in den Respirationstrakt gelangen oder Bakterien auch über den Mundraum in die Blutbahn gelangen. Diese Aussage wird unterstützt durch Ergebnisse einer Querschnittsstudie, bei denen Patienten mit schlechterer Mundhygiene ein signifikant höheres Risiko an Pneumonien zu erkranken zeigten. Pneumonien zählen zu den häufigsten Infektionskrankheiten in Pflegeheimen.
    In anderen Studien konnte zusätzlich gezeigt werden, dass Erkrankungen im Mundbereich, vor allem Parodontitis, ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes mellitus sind.
  • Ein drittes Problem ist die Finanzierung von Prävention im hohen Alter und bei pflegebedürftigen Menschen. Diagnostik und Therapie in der Zahnmedizin sind auf eine aufwendige Ausstattung angewiesen. Derzeit sind nur wenige Zahnärzte mobil unterwegs und nur wenige Menschen können sich eine präventive Behandlung als Selbstzahler in der Pflege leisten. Präventive Maßnahmen bei Erwachsenen gehören in der Zahnmedizin nicht zu den Leistungen der GKV und sind vom Patienten selbst zu bezahlen. Dieses ist für die meisten Menschen, die schon mit der Finanzierung von Pflege mehr als ausgelastet sind, nicht möglich.
Dieses Thema stand gestern nicht auf unserer Tagesordnung.

Dieses Thema stand gestern nicht auf unserer Tagesordnung.

Neue Versorgungskonzepte für immobile Patienten erfordern in der Zahnmedizin eine höhere Mobilität der Zahnärzte. Derzeit wird an Lösungen gearbeitet, Patienten zu Hause oder in Pflegeheimen zahnmedizinisch präventiv oder therapeutisch zu versorgen. Der Erhalt eigener Zähne oder einer hochwertigen Zahnsanierung ist zwar zeitintensiv und aufwendig, bedeutet aber für die betreffenden Menschen ein wichtiges Stück Lebensqualität. Aus diesem Grund muss die zahnmedizinische Versorgung mit der Entwicklung unserer gesellschaftlichen Situation einhergehen.

Das Teamwerk-Projekt „Zahnmedizin in der Pflege“ ist ein Modellprojekt für die zahnmedizinische Betreuung von älteren Menschen in Münchener Pflegeeinrichtungen. Das Projekt befasst sich nicht nur mit der therapeutischen Seite, wie es für Pflegeheimbewohner meistens der Fall ist, sondern auch mit präventiven Aspekten. Innerhalb von sieben Jahren Teamwerk-Projekt in München konnten aus den Erfahrungen und Erkenntnissen einige Konzepte entstehen, die als gute Grundlagen für weitere Projekte in Deutschland, Österreich und der Schweiz dienen. Zahnärzte und Pflegepersonal können schon teilweise in Fort- und Weiterbildungen von den Ergebnissen profitieren. Es wird über bundesweite Konzepte nachgedacht.

Im Jahr 2010 haben die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer gemeinsam ein Konzept zur vertragszahnärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung herausgebracht. Die Voraussetzungen für dessen Umsetzung werden durch den neuen § 87, 2i im SGB V unterstützt. Dort heißt es: „Im einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen ist eine zusätzliche Leistung vorzusehen für das erforderliche Aufsuchen von Versicherten, die einer Pflegestufe nach § 15 des Elften Buches zugeordnet sind, Eingliederungshilfe nach § 53 des Zwölften Buches erhalten oder dauerhaft erheblich in ihrer Alltagskompetenz nach    § 45a des Elften Buches eingeschränkt sind und die die Zahnarztpraxis aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit, Behinderung oder Einschränkung nicht oder nur mit hohem Aufwand aufsuchen können. § 71 Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.“ Im Weiteren wird in Punkt 2 j des § 87 SGB V ausgeführt: „Für Leistungen, die im Rahmen eines Vertrages nach § 119b Absatz 1 erbracht werden, ist im einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen eine zusätzliche, in der Bewertung über Absatz 2i Satz 1 hinausgehende Leistung vorzusehen. Voraussetzung für die Abrechnung dieser zusätzlichen Leistung ist die Einhaltung der in der Vereinbarung nach § 119b Absatz 2 festgelegten Anforderungen. Die Leistung nach Absatz 2i Satz 1 ist in diesen Fällen nicht berechnungsfähig. § 71 Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.“ Auf Grund dieser gesetzlichen Regelungen sollten weitere Konzepte zur „aufsuchenden“ zahnärztlichen Versorgung entwickelt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass niedergelassene Zahnärzte über diese neuen Struktur- und Abrechnungsmöglichkeiten informiert sind und diese auch nutzen.

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Herzlichen Dank an Frau Berger-Orsag, die Geschäftsführerin des DAZ, für die hervorragende Organisation.

Literatur:

  • Glaeske, G. (2009). Die veränderte Verteilung der Prävalenzen und ihre Auswirkung für die zahnärztliche Therapie. Die Quintessenz (2009); 60(12): 1399-1404.
  • Pfaff, H; Glaeske, G; Neugebauer, E A; Schrappe, M (2010). Memorandum III „Methoden für die Versorgungsforschung“, Teil 1 des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung e.V. (2010) (71) 8/9-12. Sonderdruck. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG.
  • SVR: Gutachten 2009 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. 16. Wahlperiode. 02.07.2009, Ziffern: 205-207; 829-830; 927. Seite: 373.

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