BSG: Zahlungen der Krankenkassen an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verfassungswidrig

Der GKV-Spitzenverband durfte die vom Gesetzgeber angeordneten Zahlungen an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verweigern, weil die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften verfassungswidrig sind. Dies hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts heute entschieden.

Die gesetzlichen Regelungen über die Beauftragung und Vergütung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durch den GKV-Spitzenverband verstoßen gegen die durch das Grundgesetz vorgeschriebene Verwaltung der Sozialversicherung durch eigenständige Körperschaften.

  • Der Bund muss die organisatorische und finanzielle Selbstständigkeit der Sozialversicherungsträger (hier der Krankenkassen) wahren und darf seinen eigenen Behörden keine Aufgaben der Sozialversicherung übertragen.
  • Die Beitragsmittel der Versicherten dürfen allein zur Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung eingesetzt werden.

Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben unterläuft die in § 20a Absatz 3 und 4 SGB V

§ 20a SGB V Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten

(3) Zur Unterstützung der Krankenkassen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten für in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte, insbesondere in Kindertageseinrichtungen, in sonstigen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in Schulen sowie in den Lebenswelten älterer Menschen und zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Leistungen beauftragt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ab dem Jahr 2016 insbesondere mit der Entwicklung der Art und der Qualität krankenkassenübergreifender Leistungen, deren Implementierung und deren wissenschaftlicher Evaluation. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen legt dem Auftrag die nach § 20 Absatz 2 Satz 1 festgelegten Handlungsfelder und Kriterien sowie die in den Rahmenvereinbarungen nach § 20f jeweils getroffenen Festlegungen zugrunde. Im Rahmen des Auftrags nach Satz 1 soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geeignete Kooperationspartner heranziehen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erhält für die Ausführung des Auftrags nach Satz 1 vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen eine pauschale Vergütung in Höhe von mindestens 0,45 Euro aus dem Betrag, den die Krankenkassen nach § 20 Absatz 6 Satz 2 für Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten aufzuwenden haben. Die Vergütung nach Satz 4 erfolgt quartalsweise und ist am ersten Tag des jeweiligen Quartals zu leisten. Sie ist nach Maßgabe von § 20 Absatz 6 Satz 5 jährlich anzupassen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellt sicher, dass die vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen geleistete Vergütung ausschließlich zur Durchführung des Auftrags nach diesem Absatz eingesetzt wird und dokumentiert dies nach Maßgabe des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen. Abweichend von Satz 4 erhält die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Jahr 2020 keine pauschale Vergütung für die Ausführung des Auftrags nach Satz 1.
(4) Das Nähere über die Beauftragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nach Absatz 3, insbesondere zum Inhalt und Umfang, zur Qualität und zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowie zu den für die Durchführung notwendigen Kosten, vereinbaren der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erstmals bis zum 30. November 2015. Kommt die Vereinbarung nicht innerhalb der Frist nach Satz 1 zustande, erbringt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Leistungen nach Absatz 3 Satz 1 unter Berücksichtigung der vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 20 Absatz 2 Satz 1 festgelegten Handlungsfelder und Kriterien sowie unter Beachtung der in den Rahmenvereinbarungen nach § 20f getroffenen Festlegungen und des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen regelt in seiner Satzung das Verfahren zur Aufbringung der erforderlichen Mittel durch die Krankenkassen. § 89 Absatz 3 bis 5 des Zehnten Buches gilt entsprechend.

geregelte Konstruktion einer gesetzlichen Beauftragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durch den GKV-Spitzenverband mit einer pauschalen, vom Auftragsumfang unabhängigen Vergütung. Der GKV-Spitzenverband war im Interesse der Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen auch berechtigt, sich auf die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen zu berufen, um eine verfassungsrechtliche Prüfung durch die Gerichte herbeizuführen.

An einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz war das Bundessozialgericht gehindert, weil die Aufsichtsmaßnahme des Bundesministeriums für Gesundheit auch noch aus einem anderen Grund rechtswidrig war. Denn für die Aufhebung eines Verwaltungsratsbeschlusses des GKV-Spitzenverbandes durch die Aufsichtsbehörde fehlte es 2016 an einer gesetzlichen Grundlage.

Quelle: Bundessozialgericht, Pressemitteilung vom 18.05.2021 zu Az B 1 A 2/20 R