Warum stellt eine Wahlmanipulation in einer Selbstverwaltungskörperschaft keine Straftat dar?
In meinem Artikel „Wer sind eigentlich die Nichtwähler“ vom 23. Juni 2013 schrieb ich folgendes:
So möchte ich bei dieser Gelegenheit auf einen Vorfall im Jahre 2006 hinweisen, der damals öffentlich als Wahlmanipulation im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin benannt wurde. Neben dem an sich schon unfassbaren Ablauf selbst, fand ich die Einschätzung bemerkenswert, dass diese in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts angeblich begangene Wahlmanipulation keine strafrechtliche Relevanz hatte.
Eine Wahlfälschung soll keine Straftat sein?
Nach dem allgemeinen Rechtsempfinden eigentlich unvorstellbar.
Wie ist das möglich?
Bei dem in einem Artikel geschilderten Vorfall im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin, gibt es öffentlich zugänglich zwei Unterlagen, welche sich mit der Frage der Strafbarkeit einer vermeintlichen Wahlmanipulation in dieser Selbstverwaltungskörperschaft auseinandersetzten.
1. In einer am 22. August 2006 von der Senatorin für Justiz beantworteten Kleinen Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus heißt es unter
V. Strafrechtliche Bewertung:
1. Frage: Liegt der Senatsverwaltung für Justiz ein im Auftrag des Vorstandes des Versorgungswerks erstelltes Gutachten vor, dass die Frage einer strafrechtlichen Relevanz der im Raum stehenden Vorwürfe über eine eventuelle Wahlmanipulation prüft?
Antwort: Ja
2. Frage: Wenn ja, welcher Lebenssachverhalt liegt dem Gutachten zu Grunde und zu welchem Ergebnis kommt das Gutachten?
Antwort: Das Gutachten geht davon aus, dass zwei Mitarbeiter der Geschäftsstelle das Ergebnis der Feststellung des Wahlergebnisses am 3. April 2006 gezielt dadurch beeinflusst haben, dass sie Stimmzettel unrichtig vorgelesen und/oder Ableseergebnisse unkorrekt wiedergegeben haben. Das Gutachten verneint eine Strafbarkeit.
3. Frage: Wie bewertet die Senatsverwaltung für Justiz die Vorgänge in strafrechtlicher Hinsicht?
Antwort: Die Frage, wie die Vorgänge in strafrechtlicher Hinsicht zu bewerten sind, wird derzeit auf Veranlassung der Senatsverwaltung für Justiz durch die Staatsanwaltschaft Berlin geprüft. Das Ergebnis der Prüfung bleibt abzuwarten.
2. In einem Mitgliederrundschreiben der Versorgungseinrichtung zum Jahresende 2006 heißt es:
Die Senatorin für Justiz hatte Herrn Oberstaatsanwalt Schmidt gebeten, die strafrechtliche Relevanz der Wahlmanipulation zu untersuchen. Herr Oberstaatsanwalt Schmidt ist am 01.09.2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Straftatbestände berührt sind.
Einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter wurde am 15. Mai 2006 die außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Beide haben den Vorwurf der Wahlmanipulation jedoch bestritten und vor dem Landesarbeitsgericht Berlin jeweils Kündigungsschutzklage erhoben. Beide Verfahren wurden durch Abschluss eines Vergleiches beendet, und zwar am 23. Juni 2006 und am 03. August 2006. Aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage vom 22. August 2006 ergibt sich, dass das Versorgungswerk keine Abfindungen gewährt hat.
Das beide Verfahren durch einen Vergleich beendet wurden ist bedauerlich. Denn damit steht der Öffentlichkeit kein Gerichtsurteil zur Verfügung, so dass letztendlich offen im Raum steht, was genau dort stattgefunden hat. Und wor allen Dingen gibt es leider keine Antwort auf das WARUM!?
Hinsichtlich der Prüfung einer strafrechtlichen Relevanz, gab es in diesem Verfahren zwei bedeutsame Dokumente:
- Ein Gutachten, in Auftrag gegeben vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin.
- Das Prüfungsergebnis von Herrn Oberstaatsanwalt Schmidt.
Diese Dokumente sind leider nicht öffentlich.
Nach Anfrage bei einem Rechtsanwalt könnte es jedoch sein, dass sich die Verneinung der Strafbarkeit aus § 108 Strafgesetzbuch ergibt:
Die §§ 107 bis 108c gelten für Wahlen zu den Volksvertretungen, für die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, für sonstige Wahlen und Abstimmungen des Volkes im Bund, in den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie für Urwahlen in der Sozialversicherung. Einer Wahl oder Abstimmung steht das Unterschreiben eines Wahlvorschlags oder das Unterschreiben für ein Volksbegehren gleich.
Das bedeutet:
Die Fälschung aller anderen Wahlen als der genannten ist nicht strafbar. Darunter fallen dann auch die Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen in den Zahnärztekammern, Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und Versorgungswerken.