Kammerwahl: Wer sind eigentlich die Nichtwähler?

Bei der letzten Kammerwahl, welche am 29.11.2012 endete, dominierten mit einem Anteil von 61,44 % die Nichtwähler. Das sind 3.286 Kammermitglieder. Flankiert wurden diese zusätzlich von 345 als ungültig gewertete Wahlscheine. Der nicht als aktiv bzw. gültig zu wertende Wählerschaftsanteil beträgt somit zusammen 67,89 %.

Nach dieser auffällig geringen Wahlbeteiligung stelle ich mir folgende Fragen:

  1. Wer sind eigentlich die Nichtwähler?
  2. Worauf beruht die Motivation der Nichtwähler, ihr Wahlrecht nicht aktiv zu nutzen, es also verfallen zu lassen?
  3. Wie kam es zu der auffällig hohen Anzahl an ungültigen Stimmen?

Mir ist nicht bekannt, dass es in Bezug auf Wahlen in Selbstverwaltungskörperschaften Analysen über das Nichtwähler-Phänomen gibt. Daher besteht zunächst nur die Möglichkeit, sich hilfsweise entsprechende Untersuchungen zu den Kommunal,- Landes- und Bundestagswahlen anzuschauen. Vielleicht finden sich dort Verständnisansätze?

Seit der Kammerwahl wurden zu dieser Thematik drei Untersuchungen veröffentlicht, welche ich für alle Interessierten unten in einer Übersichtstabelle zusammengestellt habe. Die Studien bieten mehrere interessante Verständnisansätze, weshalb ich sie auch zur eigenen Lektüre empfehlen möchte.

Ein Ergebnis, welches besonders ins Auge fällt:

  • Alle drei Studien weisen auf die „soziale Selektivität“ hin. Das bedeutet, dass insbesondere geringes Einkommen und ein niedriger Bildungsstand ein Nichtwähler-Kriterium darstellen.

Das Problem: In Bezug auf schwindende Wahlbeteiligungen in Selbstverwaltungskörperschaften und hier insbesondere auf den Ausgang der letzten Kammerwahl, hilft diese Aussage aber leider nicht weiter.

  • Denn Zahnärzte sind Akademiker und verfügen daher über keinen niedrigen Bildungsstand.
  • Sie verfügen im Durchschnitt auch nicht über das in den Studien gemeinte geringe Einkommen.
  • Es beantwortet auch nicht die Frage, weshalb 345 Akademiker, mithin 6,45 % aller Wahlberechtigten, Stimmzettel abgegeben haben, welche dann als ungültig gewertet wurden.

Leider wird es zu diesen Fragen von grundsätzlichem Interesse aus dem Hause der Berliner Zahnärztekammer keine objektiven Antworten geben. Denn die beiden Altverbände blocken. Delegiertenversammlung vom 28.02.2013:, Protokoll, Seite 4:

Herr Dr. Hessberger (IUZB/UNION 2012) stellt den Antrag, dass in einer der nächsten Delegiertenversammlungen das Thema DV-Wahl 2012 auf die Tagesordnung genommen wird. Nach Möglichkeit sollen die Mitglieder des Wahlausschusses dazu eingeladen werden.
Der Antrag wird mit 15 Ja-Stimmen, 19 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.

Trotz der Weigerung, es müssen Lösungsangebote her.

Wird der Wahl-Windchill-Faktor ausreichend beachtet?

So möchte ich bei dieser Gelegenheit auf einen Vorfall im Jahre 2006 hinweisen, der damals öffentlich als Wahlmanipulation im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin benannt wurde. Neben dem an sich schon unfassbaren Ablauf selbst, fand ich die Einschätzung bemerkenswert, dass diese in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts angeblich begangene Wahlmanipulation keine strafrechtliche Relevanz hatte.

Für mich ergab sich daraus die Schlussfolgerung, dass Wahlen in allen Selbstverwaltungskörperschaften künftig so durchgeführt werden sollten, dass nicht nur die Wahlleitung, sondern auch die Wahlorganisation komplett über ein neutrales und unabhängiges Notariat abgewickelt wird. In diesem Zusammenhang sollten dann die Wahlbriefe mit den ausgefüllten Stimmzetteln auch nicht mehr in die Körperschaften, sondern direkt an das Wahlleitungsnotariat geschickt werden, wo während der Wahlzeit auch die Wahlurne aufbewahrt werden sollte.

Und wer weiß, vielleicht würde dies für die selbstorganisierten Körperschaften, die ja latent immer mit dem allgemeinen Vorwurf zu kämpfen haben, „dass dort alle Akteure letztendlich unter einer Decke stecken“, bedeuten, dass sich bei den Wahlberechtigten die „gefühlte Wahl-Sicherheit“ verbessert.

Insofern könnte es auch für die Zahnärztekammer Berlin und für die Kassenzahnärztliche Vereinigung Berlin nicht von Nachteil, sondern nur von Vorteil sein, diesen „Wahl-Windchill-Gedankengang“ durchaus ernsthaft aufzugreifen.

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Dokumente Wahlstudien:

Datum Herausgeber Dokument
02.03.2013 Armin Schäfer vom
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
für Friedrich-Ebert-Stiftung
Studie
Bericht NachDenkSeiten
Grafik Wahlbeteiligung/Bildungsgrad/Schichtzugehörigkeit/Einkommen
10.06.2013 Bertelsmann Stiftung Pressemitteilung
Politische Partizipation und Zufriedenheit mit der Demokratie
Ziemlich unpolitische Freunde – wer in Deutschland warum nicht mehr wählt
Die Wahlbeteiligung von Geringverdienern sinkt stetig
17.06.2013 Friedrich-Ebert-Stiftung Studie
Zusammenfassung

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Dokumente Wahlmanipulation im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin:

Datum Herausgeber Dokument
Mitte 2006 VW RA Berlin / Webseite Aktuelles – Abschrift 06.09.2006 im BZF
22.08.2006 Abgeordnetenhaus Kleine Anfrage
„Wahlmanipulation im Versorgungswerk bei den Wahlen zur Vertreterversammlung“
Oktober 2006 Berliner Anwaltsblatt Artikel „Versorgungswerk: Kleine Anfrage durch Justizsenatorin beantwortet“
Dezember 2006 VW RA Berlin / Webseite Mitgliederbrief – Abschrift 27.01.2007 im BZF