Kausalkette zum Approbationsentzug
Der Fall: Heimliche Patientenfotos eines Hautarztes rechtfertigen Approbationsentzug
Tatbestand:
Der im Iran geborene Kläger ist Facharzt für Hauterkrankungen und Venerologie und seit 1996 in Leverkusen als Hautarzt in eigener Praxis tätig.
Zwischen Dezember 2010 und Februar 2011 fertigte der Kläger in seiner Praxis mit seinem Mobiltelefon Aufnahmen von mehreren Patientinnen in unbekleidetem oder nur mit Unterwäsche bekleidetem Zustand ohne deren Einverständnis. Bei Aufnahmen zeigten die Patientinnen überwiegend in der Rückansicht, wobei der Rücken- und der Gesäßbereich abgebildet waren. Vereinzelt waren auf den Bildern die Gesichter der Patientinnen erkennbar. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wurde u.a. das Mobiltelefon des Klägers beschlagnahmt. Nach Auswertung der darauf abgespeicherten Bilddateien wurde die Anzahl der Bilderserien von fotografierten Frauen auf insgesamt 48 bestimmt.
Entscheidungsgründe:
23 Der Widerruf der Approbation als Arzt findet seine Grundlage in § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundes-Ärzteordnung (BÄO). Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BÄO ist die Approbation zu widerrufen, wenn nachträglich die Voraussetzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO weggefallen ist. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO ist die Approbation zu erteilen, wenn der Antragsteller sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes ergibt.
24 Beim Widerruf einer als begünstigender Verwaltungsakt ergehenden Approbation handelt es sich um einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Berufswahl; denn die freie Berufswahl umfasst nicht nur die Entscheidung über den Eintritt in den Beruf, sondern überdies die Entscheidung darüber, ob und wie lange ein Beruf ausgeübt werden soll.
26 Diese Entscheidungsfreiheit wird dem betroffenen Arzt durch einen Widerruf der Approbation genommen. Ein solcher Eingriff ist nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter statthaft. Dieser Anforderung ist dann genügt, wenn die Würdigkeit oder Zuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes, die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO Voraussetzung für die Erteilung der Approbation sind, weggefallen ist.
28 – 30 Die Voraussetzungen für den Widerruf der ärztlichen Approbation sind im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung, vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt BVerwG, Beschluss vom 14.04.1998 – 3 B 95/97 -, Juris, Rz. 6, wonach der Widerruf der Approbation ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt und kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, erfüllt, da der Kläger als unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufes anzusehen ist.
31 Unwürdig ist ein Arzt, wenn er wegen seines Verhaltens in der Vergangenheit nicht mehr das zur Ausübung seines Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen genießt und dadurch den Beruf schwer belastet. Das ihm zur Last fallende Fehlverhalten muss so schwerwiegend sein, dass bei Würdigung aller Umstände eine weitere Berufsausübung im maßgeblichen Zeitpunkt als untragbar erscheint.
33 Dabei ist es nicht erforderlich, dass ein Ansehensverlust des Arztes in der Öffentlichkeit bereits konkret eingetreten ist. Vielmehr ist eine abstrakte Betrachtungsweise maßgeblich.
35 Entscheidend ist, dass das Verhalten des Arztes für jeden billig und gerecht Denkenden als Zerstörung der für die ärztliche Tätigkeit unverzichtbaren Vertrauensbasis erscheint. Unwürdigkeit liegt demnach dann vor, wenn ein bestimmtes Fehlverhalten gegeben ist, das nicht mit der Vorstellung in Einklang gebracht werden kann, die mit der Einschätzung der Persönlichkeit eines Arztes gemeinhin verbunden wird. Der Begriff der Unwürdigkeit ist demnach daran gebunden, ob ein bestimmtes Verhalten eines Arztes mit dem gesamten Berufsbild und den Vorstellungen übereinstimmt, die die Bevölkerung allgemein vom Arzt hat. Von einem Arzt, dem auch von seinen Patienten besonderes Vertrauen entgegen gebracht wird, erwartet man nicht nur eine sorgfältige Behandlung der Patienten, sondern auch eine sonst in jeder Hinsicht einwandfreie Berufsausübung. Liegt Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs vor, so ist der im Entzug der Approbation liegende, in jedem Fall sehr schwerwiegende Eingriff in die Berufsfreiheit sachlich gerechtfertigt, ohne dass es noch einer zusätzlichen Auseinandersetzung mit individuellen Umständen, wie z.B. mit dem Alter des Betroffenen oder den Möglichkeiten einer anderen beruflichen Tätigkeit bedürfte,…
37 Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
38 – 40 Die Kammer, der insoweit ebenso wie den Verwaltungsbehörden eine eigenständige Überprüfung obliegt, ob sich aus staatsanwaltschaftlichem Ermittlungsverfahren und Strafbefehlsverfahren hinreichende Grundlagen für einen Widerruf der Approbation ergeben, … kommt nach Auswertung des vorliegenden Aktenmaterials zu dem Schluss, dass sich der Kläger eines Verhaltens schuldig gemacht hatte, aus dem sich die Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Zu einer dahingehenden Überzeugung gelangt die Kammer nach eigenständiger Würdigung der Feststellungen im Strafbefehl.
41 Denn aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, die dem seit dem 29.12.2012 rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Leverkusen vom 12.12.2012 zugrunde liegen, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger das ihm zur Last gelegte Vergehen in Form der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen in fünf Fällen gemäß § 201a Abs. 1 StGB tatsächlich begangen hat.
42 Zwar ist ein Strafbefehl kein im ordentlichen Strafverfahren ergehendes Urteil, sondern eine in einem besonders geregelten summarischen Verfahren getroffene richterliche Entscheidung. Weil das Strafbefehlsverfahren vornehmlich der Vereinfachung und Beschleunigung dient, kann ein Strafbefehl regelmäßig nicht das Maß an Ergebnissicherheit bieten wie ein Urteil. Die in einem Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen Feststellungen vermögen deswegen keine Bindungswirkung etwa für ein Disziplinarverfahren zu erzeugen. Weil der Strafbefehl jedoch aufgrund einer tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch das Gericht (§§ 407, 408 StPO) ergeht, einen strafrechtlichen Schuldspruch enthält sowie eine strafrechtliche Rechtsfolge gegen den Beschuldigten festsetzt und – erhebt der Beschuldigte nicht rechtzeitig Einspruch oder nimmt einen Einspruch zurück – gemäß § 410 Abs. 3 StPO die Wirkung eines rechtskräftigen Strafurteils erlangen kann, entspricht es gleichwohl ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass namentlich im Ordnungsrecht die in einem rechtskräftigen Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen regelmäßig zur Grundlage einer behördlichen oder gerichtlichen Beurteilung der betroffenen Persönlichkeit gemacht werden dürfen, soweit sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit solcher Feststellungen ergeben. Diese Rechtsprechung ist auch auf die Zusammenhänge von Approbations-Widerrufen übertragbar.
44 Gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen im Strafbefehl liegen nicht vor. Vielmehr hat der Kläger die Taten als solche eingeräumt.
45 Durch die heimlichen Fotoaufnahmen von seinen nahezu unbekleideten Patientinnen im Rahmen von Ganzkörperuntersuchungen hat sich der Kläger einer erheblichen Verfehlung schuldig gemacht, die zu einem schweren Ansehens- und Vertrauensverlust führt.
46 Die Öffentlichkeit bringt Ärzten aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung und Stellung ein besonderes Vertrauen entgegen, das der Kläger durch sein Fehlverhalten erheblich beschädigt hat. Nach § 1 Abs. 1 BÄO dient der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Die ärztliche Aufgabe besteht darin, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken (vgl. beispielhaft § 1 Abs. 2 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte). Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist den Ärzten mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der Heilkunde verliehen worden. Patienten, die sich in ärztliche Behandlung begeben, erwarten von ihrem Arzt ohne Einschränkung, dass dieser seine Behandlung am Wohl der Patienten ausrichtet. Diese Erwartung beinhaltet selbstverständlich, dass der Arzt das ihm in der Behandlungssituation entgegengebrachte Vertrauen nicht in strafrechtlich relevanter Weise missbraucht. Tut er es – wie der Kläger – dennoch, führt dies zu einer ganz erheblichen Belastung des Ansehens des ärztlichen Berufsstandes in der Öffentlichkeit.
47 Mit Blick auf Art und Umfang ist das Fehlverhalten des Klägers als gravierend zu bezeichnen. Er hat das Vertrauen der betroffenen Patientinnen im Rahmen der Behandlungssituation massiv verletzt, in dem er ohne ihr Wissen und Einverständnis Fotoaufnahmen von ihren nahezu unbekleideten Körpern bzw. Körperteilen angefertigt hat. Die Patientinnen, die sich zum Zwecke der Untersuchung vor dem Kläger nahezu vollständig entblößten, sind durch die heimlichen Fotoaufnahmen in ihrer persönlichen Privat- und Intimsphäre erheblich betroffen. Nur im Vertrauen auf die Notwendigkeit der Untersuchung und die Integrität des Arztes sind die Patientinnen bereit, sich im Rahmen der Behandlungssituation im Scham- und Intimbereich auf dermatologische Auffälligkeiten hin untersuchen zu lassen. Diese Bereitschaft konnte der Kläger nur deshalb für die heimlichen Fotoaufnahmen ausnutzen, weil ihm aufgrund seines Berufes und des damit entgegengebrachten Vertrauens die Möglichkeit zur Durchführung ärztlicher Untersuchungen eingeräumt ist. Die Verfehlung des Klägers ist damit dem Kernbereich der ärztlichen Berufsausübung zuzuordnen. Denn das hier missbrauchte Vertrauen bildet die unerlässliche Basis des Arzt-Patienten-Verhältnisses.
48 Auch wenn es eines bereits konkret eingetreten Ansehensverlustes nicht bedarf, dürfte dieser hier festzustellen sein. Denn die Tat hat ein erhebliches mediales Interesse hervorgerufen. Zahlreiche Medien, insbesondere lokale Zeitungen, haben über den Vorfall berichtet (vgl. Bl. 381 bis 390 Beiakte 1)). Durch sein in der Öffentlichkeit bekannt gewordenes Verhalten hat der Kläger sowohl sein eigenes berufsbezogenes Ansehen als auch tendenziell das der Ärzteschaft insgesamt mit entsprechend negativen Rückwirkungen auf die Einschätzung der persönlichen wie fachlichen Integrität der beruflichen Betätigung untergraben. Wegen der deswegen zu befürchtenden negativen Auswirkungen auf das Ansehen der Ärzteschaft als solcher ist seine weitere ärztliche Tätigkeit untragbar.
53 … Das Verhalten des Klägers lässt sich auch unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit nicht mit dem Berufsbild und den Vorstellungen in Einklang bringen, die die Bevölkerung allgemein von einem Arzt hat.
55 Es ist schließlich auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes bis zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung wiederlangt hat. Positive Entwicklungen nach der Tat und der zeitliche Abstand zum vorgeworfenen Fehlverhalten sind bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht nur bei der Feststellung der Unzuverlässigkeit, sondern auch bei der Frage der Unwürdigkeit zur Ausübung des Arztberufes zu berücksichtigen.
56 Zwar trägt – wie dargelegt – nur der Begriff der Unzuverlässigkeit ein prognostisches Element in sich.
58 Das schließt es jedoch nicht aus, dass auch die Beurteilung der Berufsunwürdigkeit mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum maßgeblichen Fehlverhalten Veränderungen unterworfen ist. Ob jemand das Vertrauen und Ansehen in der Bevölkerung besitzt, das für die Ausübung des Arztberufs notwendig ist, hängt entscheidend von den sich auch verändernden Umständen des Einzelfalls ab. Von Bedeutung bei dieser Wertung sind die Art der Straftat, das Ausmaß der Schuld und der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit.
60 Je entfernter der Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit ist, desto gewichtiger muss das Fehlverhalten sein, um zur Unwürdigkeit führen zu können und den Widerruf der Approbation zu rechtfertigen.
62 Bedeutsam sind aber auch eine zuvor einwandfreie Tätigkeit sowie das Verhalten nach der Tat. Je geringer im Übrigen der Strafvorwurf ist, der der Feststellung der Unwürdigkeit zugrunde liegt, desto eher muss der erlittene Vertrauensverlust mit zunehmender Zeitdauer als geheilt angesehen werden.
64 Gemessen daran vermag auch eine seit der Tatbegehung beanstandungsfreie Berufsausübung des Klägers an dem oben festgestellten Befund nichts zu ändern. Denn das Fehlverhalten des Klägers ist – wie bereits dargelegt – dem Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit zuzuordnen. Der durch die mehrfach festgestellten erheblichen Vertrauensbrüche im Rahmen von Behandlungssituationen einhergehende Ansehens- und Vertrauensverlust ist vorliegend nicht durch den bloßen Ablauf einer mit 2 Jahren und 3 Monaten (09.02.2011 als Zeitpunkt der letzten im Strafbefehl aufgeführten Tat bis 08.05.2013 als Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung) überschaubaren Zeitspanne als geheilt anzusehen sein, zumal zunächst noch das Ermittlungsverfahren lief und das anschließende Strafbefehlsverfahren erst im Dezember 2012 abgeschlossen war.
65 Der Widerruf der Approbation ist schließlich auch mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die Maßnahme dient dem Schutz überragender Gemeinschaftsgüter, nämlich dem Schutz des Ansehens der Ärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit. Dabei geht es darum, das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der Heilkunde verliehen ist und in deren Behandlung sich die Patienten begeben. Dieses für das Arzt-Patienten-Verhältnis konstitutive und damit auch für das hochrangige Gemeinschaftsgut der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung unerlässliche Vertrauen würde zerstört durch eine fortdauernde Berufstätigkeit von Ärzten, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist.
67 Der Widerruf entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Ein milderes geeignetes Mittel steht nicht zur Verfügung. Die Kammer verkennt nicht, dass durch den Widerruf der Approbation der Kläger in seiner beruflichen Existenz bedroht ist. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird jedoch durch die Möglichkeit Rechnung getragen, nach Abschluss des Widerrufsverfahrens einen Antrag auf Wiedererteilung der Approbation zu stellen und gegebenenfalls zunächst eine Erlaubnis zur erneuten Ausübung des ärztlichen Berufs zu erhalten (§ 8 Abs. 1 BÄO).
69 Im Übrigen resultieren die mit der approbationsrechtlichen Maßnahme des Widerrufs der ärztlichen Approbation verbundenen Konsequenzen letztlich aus dem persönlichen Fehlverhalten des Klägers.
70 Die Verpflichtung zur Herausgabe der Urkunde beruht auf § 52 Satz 1 VwVfG NRW.
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Verwaltungsgericht Köln, Az 7 K 3421/13, Urteil vom 17.12.2013
(Hinweis: Um die Lesbarkeit und logische Verständlichkeit der Entscheidungsgründskette besser nachvollziehen zu können, wurde das vorstehende Urteil von mir redaktionell überarbeitet.)