OFFENER BRIEF AN HERRN CZAJA

Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales

–   Herrn Senator Mario Czaja persönlich –

Oranienstraße 106

10969 Berlin

 

Berlin, 27. März 2012

Sehr geehrter Herr Senator Czaja,

heute wenden wir uns in einem offenen Brief an Sie persönlich, weil Sie im Zusammenhang mit der Zahlung von sog. Übergangsgeldern bei der KV Berlin durch Ihr persönliches Engagement unter Beweis gestellt haben, dass Sie größten Wert auf einen transparenten und sachgerechten Umgang mit den Geldern der Körperschaften des öffentlichen Rechts im Gesundheitswesens legen. Sie sind zurecht der Selbstbedienungsmentalität einiger Standesvertreter vehement entgegen getreten. Leider ist dieser Sachverhalt auch ein Thema in den berufsständischen Einrichtungen der Berliner Zahnärzteschaft.

Wir, die Unterzeichner, sind in Berlin niedergelassene Zahnärzte und damit Mitglieder der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV), die sich neben der Ausübung ihres Berufs ehrenamtlich in den berufsständischen Selbstverwaltungen engagieren. Auch wenn Ihnen der Sachverhalt weitestgehend bekannt ist, erlauben Sie uns, den sich seit Jahren hinziehenden Vorgang noch einmal zusammen zu fassen.

Was ist geschehen?

  1. Gegen den KZV-Vorsitzenden, Herrn Dr. Husemann, und seinen Stellvertreter, Herrn Dr. Pochhammer, hatte die Staatsanwaltschaft Berlin seinerzeit ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Untreue eingeleitet.
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    Im Zuge der Ermittlungen hatte das Landeskriminalamt (LKA) offenbar festgestellt, dass Funktionären und Mitarbeitern der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin in den Jahren 2001 bis 2006 immer wieder überhöhte Spesenbeträge ausgezahlt wurden. Der Gesamtschaden durch eine Vielzahl von Einzelbeträgen im meist dreistelligen Bereich soll sich nach LKA-Berechnungen über die Jahre auf rund 69.000,- € summiert haben.
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    Die Staatsanwaltschaft Berlin hat das Ermittlungsverfahren dennoch eingestellt –  nicht etwa, weil die Schadensberechnung im LKA-Bericht nicht zugetroffen hätte -, sondern weil nach ihrer Auffassung den beiden Vorstandsmitgliedern nicht hätte nachgewiesen werden können, dass sie diesen Schaden vorsätzlich herbeigeführt hatten. Bezeichnend ist jedoch in diesem Zusammenhang die Anmerkung der zuletzt zuständigen Staatsanwältin in der Einstellungsmitteilung vom 10. Februar 2010: “Soweit hier und auch in dem Ausschöpfen von Abrechnungsmodalitäten moralisch auffälliges Verhalten (im negativen Sinne) gesehen werden könnte, ist es nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dies aufzudecken und zu kritisieren.“
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  2. Damit wäre die Angelegenheit im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eigentlich abgeschlossen gewesen, wären die beiden betroffenen Vorstandsmitglieder nicht auf den Gedanken gekommen, der KZV als Folge der fehlerhaften Spesenabrechnungen noch weitere Kosten in nicht unerheblicher Höhe zu verursachen:
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    Denn um sich gegen den Untreuevorwurf zu verteidigen, hatten Dr. Husemann und Dr. Pochhammer eine Anwaltskanzlei eingeschaltet. Mit dieser Anwaltskanzlei hatten sie eine Honorarvereinbarung geschlossen. Darin war vereinbart, dass die Vergütung der beauftragten Strafverteidiger nicht nach Maßgabe der gesetzlichen Anwaltsvergütung erfolgen sollte, sondern nach dem tatsächlichen Zeitaufwand. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Immerhin hatten beide Vorstandsmitglieder jeweils eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, die – so sollte man meinen – im Vorfeld gefragt worden war, ob und in welchem Umfang sie die Kosten der Strafverteidigung übernehmen würde. Denn es darf auch unterstellt werden, dass Dr. Husemann und Dr. Pochhammer von ihren Anwälten belehrt worden waren, dass die gegnerische Partei, ein Verfahrensbeteiligter oder die Staatskasse im Falle der Kostenerstattung regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss.
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    Nachdem die beiden Vorstandsmitglieder nach Erhalt der Anwaltsrechnungen (überraschend) feststellten, dass ihre Rechtsschutzversicherung nur bereit war, die Strafverteidigerkosten anteilig zu erstatten, sollen nun alle Mitglieder der KZV einspringen und die den beiden Vorstandsmitgliedern die von der Rechtsschutzversicherung nicht übernommenen Kosten erstatten. Im Vorfeld war weder eine Erstattung von Verteidigerkosten durch die KZV thematisiert noch die Honorarvereinbarung der KZV zur Prüfung vorgelegt worden.
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    In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass sich die gesetzlichen Gebühren in dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nach Angaben der Senatsverwaltung auf höchstens 550,- € pro Person belaufen. Die von Dr. Husemann und Dr. Pochhammer beauftragten Anwälte haben ihnen über abgerechnete Stundenhonorare jedoch rund 90.000,- € an Gebühren und Auslagen in Rechnung gestellt. Ob diese Kosten im vorliegenden Fall berechtigt und korrekt abgerechnet worden sind, konnte nicht einmal die mit der Prüfung der Angemessenheit der geltend gemachten Anwaltshonorare beauftragte Rechtsanwaltskammer mit Gewissheit feststellen. Die Rechtsschutzversicherung war lediglich bereit, einen Teilbetrag von rund 15.000,- € zu erstatten. Für die restlichen rund 75.000,- € sollen die Mitglieder der KZV einstehen – mit anderen Worten: Die KZV soll den beiden Vorstandsmitgliedern Anwaltskosten für ihre Verteidigung erstatten, die erheblich höher sind als der Schaden, welcher der KZV nach den Berechnungen des LKA durch das vorangehende Verhalten ihrer Funktionäre bereits entstanden ist. Im Ergebnis würde sich der Schaden der KZV aufgrund der fehlerhaften Spesenabrechnungen, die auch nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft von den beiden Vorstandsmitgliedern zu verantworten sind, hierdurch mehr als verdoppeln.
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  3. Seit mehr als einem Jahr hat die Senatsverwaltung wiederholt darauf hingewiesen, dass sie keine Rechtsgrundlage für die Erstattung der Anwaltskosten sieht, weder nach arbeitsrechtlichen noch nach dienstrechtlichen Grundsätzen. Insbesondere verweist die Senatsverwaltung darauf, dass mit den geltend gemachten Anwaltskosten sich gerade kein tätigkeitsspezifisches Risiko verwirklicht hat, sondern diese Anwaltskosten dem Lebensbereich der beiden Vorstandsmitglieder zugeordnet werden müsse. Denn nach der unserer Ansicht nach zutreffenden Auffassung der Senatsverwaltung gehört es zum allgemeinen Lebensrisiko, dass bei wiederholt zumindest formal fehlerhaften Spesenabrechnungen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. In diesem Falle sei – so die Senatsverwaltung – die KZV auch nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen nicht zur Kostenerstattung verpflichtet. Vielmehr stelle eine Kostenerstattung in diesem Falle einen Verstoß gegen das in § 78 Absatz 3 Satz 3 SGB V i.V.m. § 69 Absatz 2 SGB IV normierte Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit dar und sei deshalb rechtswidrig.
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    Aus diesem Grund forderte die Senatsverwaltung die beiden Vorstandsmitglieder Dr. Husemann und Dr. Pochhammer auf, in diesem Zusammenhang ggf. von der KZV erhaltene Erstattungszahlungen zurückzuzahlen.
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    Wir stimmen diesem Standpunkt der Senatsverwaltung voll und ganz zu. Denn abgesehen von der Frage, ob sich der Vorstand der KZV überhaupt auf arbeitsrechtliche Ansprüche berufen kann, ist jedenfalls auch ein treusorgender und verantwortungsbewusster Arbeitgeber nicht verpflichtet, einem Arbeitnehmer jegliches Lebensrisiko abzunehmen. Eine Eintrittspflicht des Arbeitgebers kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer einen Schaden dadurch erleidet, dass er einen Auftrag seines Arbeitgebers ausführt. Dies ist ersichtlich nicht der Fall, wenn ein Arbeitnehmer Fehler bei der Wahrnehmung eigener Interessen macht – und nichts anderes ist die Geltendmachung von Spesen gegenüber dem Arbeitgeber – und hierdurch einen wirtschaftlichen Nachteil erleidet.
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    Stattdessen steht dem Arbeitnehmer die Möglichkeit offen, sich durch die Auswahl einer geeigneten Versicherung – in diesem Fall einer Rechtsschutzversicherung – entsprechend abzusichern. Wenn es der Arbeitnehmer dann – wie im vorliegenden Fall offensichtlich geschehen – versäumt, den Umfang des Versicherungsschutzes abzuklären, bevor die Kosten entstehen, so fällt es ebenfalls in den Bereich des allgemeinen Lebensrisikos, wenn die von den beiden Vorstandsmitgliedern selbst ausgewählte Rechtsschutzversicherung die angefallenen Anwaltskosten nicht vollständig ersetzt.
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  4. Ungeachtet der deutlichen Worte der Senatsverwaltung führten Dr. Husemann und Dr. Pochhammer in der Vertreterversammlung vom 17. Oktober 2011 einen Beschluss der Vertreterversammlung herbei, wonach ihnen die begehrte Kostenerstattung gewährt wurde. Der Beschluss wurde ohne vertiefende Aussprache erst nach 24:00 Uhr herbeigeführt. Auch wurde den Mitgliedern der Vertreterversammlung vor der Beschlussfassung kein Einblick in die Abrechnungsunterlagen gewährt. Nach den uns vorliegenden Informationen wurden die entsprechenden Beträge zwischenzeitlich bereits ausgezahlt.
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    Leider zögert nun die zuständige Senatsverwaltung aus nicht nachvollziehbaren Gründen, dem von ihr mehrfach dargelegten rechtlichen Standpunkt Geltung zu verschaffen und die mit den sozialrechtlichen Verpflichtungen der KZV nicht zu vereinbarenden Auszahlungen rückgängig zu machen.
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    Aus diesem Grunde bitten wir Sie, sich dieser Angelegenheit anzunehmen. Denn nur durch Ihr Eingreifen kann erreicht werden, dass auch im Bereich der KZV ein an den gesetzlichen Vorgaben ausgerichteter, verantwortungsbewusster und transparenter Umgang mit den finanziellen Mitteln der Körperschaft erfolgt und diese den hohen Anforderungen der ihr übertragenen Aufgaben im Gesundheitswesen gerecht werden kann. Außerdem könnte jede weitere Verzögerung die Rückforderung der unserer Ansicht zu Unrecht an Dr. Husemann und Dr. Pochhammer ausgezahlten Gelder gefährden.

Für Ihren Einsatz im Voraus dankend, verbleiben wir 

mit freundlichen Grüßen

 

Gerhard Gneist, Karola Hein, Dr. Celina Schätze, Dr. Helmut Dohmeier-de Haan,

Alexander Klutke, Dr. Lutz-Stephan Weiss, Winnetou Kampmann, Peter Scharf

Die Unterzeichner sind Vorsitzende folgender, zahnärztlicher Verbände:

DAZ e.V.

BUZ e.V.

GpZ

Fraktion Gesundheit

Freie Liste e.V.

IUZB e.V.