Abgeordnetenhaus: Zahnärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderung in Berlin

„Der Senat erachtet die zahnärztliche Versorgung von Menschen mit schweren Behinderungen in Berlin für nicht ausreichend.“

Kleine Anfrage – Drucksache 17/11249
der Abgeordneten Jasenka Villbrandt (GRÜNE)
vom 21. November 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. November 2012) und Antwort

Zahnärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderung

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

1. Wie viele Zahnarztpraxen oder Zahnkliniken bieten wo in Berlin die Behandlungsmöglichkeit in Vollnarkose für Menschen mit Behinderung an (bitte auflisten)?

Zu 1.: Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Berlin (KZV Berlin) hat einen Behandler-Pool zusammengestellt, der geistig und körperlich Schwerstbehinderten eine Zahnbehandlung unter Vollnarkose ermöglicht. Die Zahnärztinnen und Zahnärzte dieses Behandler-Pools sind auf der Homepage der KZV Berlin unter www.kzv.berlin.de/fuer-patienten/patientenberatung/behindertenbehandlung.de aufgelistet.
In dieser Auflistung sind aktuell 26 Zahnarztpraxen aufgeführt. Dabei handelt es sich um folgende Zahnärztinnen und Zahnärzte: Hans-Uwe Amler, Dr. Jürgen Brandt, Dr. Christine Czaja, Dr. Uljana Dornberger, Dr. Carola Drechsler, Dr. Arend Fischer, Petra Göllnitz, Annegret Heise, Dr. Stefan Herbst, Holger Jegodka, Susanne Lohmann, Dres. Ilka & Markus Müller, Petra Nehring, Peter-Michael Nehring, Dr. Susanne Prengel, Michael Röhner, Dr. Anke Schneider, Dr. Dr. Bernd Schiller, Thomas Schüler, Dr. Ulrike Stosch, Efthimios Simon, Felix Talesnik, Markus Viehoff, Dr. Sabine Wintersperger, Dres. Zimny und Partner.

Zudem gibt es seit September 2011 die Möglichkeit, im Vivantes Klinikum Neukölln Menschen mit Behinderung in Narkose ambulant zu behandeln.

2. Wie viele AnästhesistInnen sind an der Versorgung dieser PatientInnen regelmäßig beteiligt?

Zu 2.: Laut der KZV Berlin handelt es sich in aller Regel um Anästhesistenteams, die die Genehmigung/Zulassung zur ambulanten Versorgung haben. Einzelne Pra-xen arbeiten mit denselben Teams zusammen. Eine zah-lenmäßige Beteiligung ist nicht bekannt.

3. Wie lang sind die durchschnittlichen Wartezeiten auf einen Termin für eine solche Behandlung?

Zu 3.: Nach Angaben der KZV Berlin werden die Termine für Behandlungen von Behinderten unter Vollnarkose, wie auch bei Menschen ohne Behinderung, zeitnah vergeben. Da jedoch vor der eigentlichen Behandlung ein Vorgespräch erfolgen muss, kann es zu Verzögerungen kommen.

4. Welche Zuzahlungen sind dafür zu leisten?

Zu 4.: In Fällen, in denen eine Vollnarkose notwendig bzw. eine Behandlung narkosefrei nicht möglich ist, ist die Behandlung zuzahlungsfrei.

5. Wie und wo ist die zahnärztliche Notfallversorgung und Narkose in der Nacht und am Wochenende insbesondere für schwerstbehinderte Menschen in Berlin sichergestellt (bitte auflisten).

Zu 5.: In der Nacht und am Wochenende erfolgt die zahnärztliche Notfallversorgung von behinderten Menschen bei Behandlungen unter Vollnarkose im Benjamin Franklin Klinikum und im Virchow Krankenhaus. Trotzdem fühlen sich viele der Betroffenen nicht ausreichend versorgt. Darüber klagten vor allem Angehörige in den letzten Monaten in den Medien.

6. Gibt es Möglichkeiten, Patienten zur zahnärztlichen Behandlung (nicht kieferchirurgisch, nur zahnärztlich – konservierend oder prothetisch!) stationär in einer Berliner Klinik zu versorgen, wenn das Risiko einer ambulanten Anästhesie wegen der Vorerkrankung des Patienten zu groß ist? Wenn ja, wo (bitte auflisten)?

Zu 6.: Nach Auskunft der KZV Berlin ist dies nicht möglich. Da das System der Diagnosis Related Groups (DRGs) für die Abrechnung von Krankenhausbehandlungen keine zahnärztlichen Diagnosen vorsehen, dürfen Zahnärztinnen und Zahnärzte auch keine Einweisungen in Krankenhäuser vornehmen.

7. Wie lange wären die Wartezeiten in einem solchen Fall?

Zu 7.: Die Wartezeiten sind der KZV Berlin zur Folge u. a. abhängig von den freien Betten, die zur Verfügung stehen. Deshalb kann eine durchschnittliche Wartezeit nicht angegeben werden.

8. Warum wurde die zahnärztliche Versorgung in Narkose für Patienten mit Behinderung in der Zahnklinik Aßmannshauser Straße und am Virchow-Klinikum ersatzlos beendet?

Zu 8.: Die Entscheidung, die zahnärztliche Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Behinderungen in der Zahnklinik in der Aßmannshauser Straße einzustellen, erfolgte durch das Lenkungsgremium der Charité unter anderem aus finanziellen Gründen.

9. Wie ist der Senat bemüht, auf die daraus resultieren Versorgungsengpässe zu reagieren.

Zu 9.: Nach § 75 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) Fünftes Buch (V) ist es Aufgabe der KZV Berlin, die vertragszahnärztliche Versorgung in Berlin sicherzustellen. Die durch die Schließung der Zahnklinik in der Aßmannshauser Straße entstandenen Vakanzen waren bzw. sind insofern durch die in Berlin ambulant tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte auszugleichen. Trotz Bemühungen konnten jedoch nicht alle Bedarfe ausreichend gedeckt werden. Das ergab unter anderem auch eine Anhörung zur zahnärztlichen Versorgung schwerstmehrfach behinderter Menschen im Berliner Abgeordnetenhaus.

10. Bei wie vielen Menschen mit Behinderung, die wegen mangelnder Einsichtsfähigkeit und Kooperation nur in Narkose behandelt werden können, besteht ein dringend sanierungsbedürftiger Gebissstatus?

Zu 10.: Dem Senat liegen hierzu keine zahlenmäßigen Erkenntnisse vor. Die Träger von Behinderteneinrichtungen berichten jedoch, dass die Anzahl der Betroffenen mit einem sanierungsbedürftigen Gebissstatus zunimmt.

11. Gibt es Zahnärzte, die diese Leistung gerne anbieten würden, aber keine Anästhesistin/keinen Anästhesisten finden, da dessen Leistung durch Budgetzwang nicht kostendeckend honoriert wird?

Zu 11.: Laut der KZV Berlin haben alle Zahnärztinnen und Zahnärzte, die sich auf die Liste der „Zahnarztpraxen mit speziellem Behandlungsangebot – Behindertenbehandlung bei Voll-Narkose“ haben aufnehmen lassen, auch Anästhesistinnen und Anästhesisten zur Verfügung. Da jedoch dieser Patientenkreis nicht immer in der Lage ist, Termine und Absprachen einzuhalten, wird die Versorgung für die Zahnarztpraxen vor allem auch aus Kostengründen schwierig, weil die Mehraufwendungen nicht vergütet werden.

12. Gibt es eine öffentlich zugängliche Aufstellung von Anlaufstellen der zahnärztlichen Notfallversorgung für schwerstbehinderte Menschen und wenn ja, wo?

Zu 12.: Die KZV Berlin verfügt eine Aufstellung von Anlaufstellen der zahnärztlichen Notfallversorgung für schwerstbehinderte Menschen. Diese bzw. die darauf befindlichen Telefonnummern sind allen relevanten Stellen zugeleitet worden und befinden sich auch auf der Homepage der KZV Berlin.

13. Wie schätzt der Senat die reguläre Versorgung dieses Personenkreises ein und hält der Senat den § 2a SGB V in Berlin für umgesetzt? Worauf beruht die Einschätzung?

Zu 13.: Der Senat erachtet die zahnärztliche Versorgung von Menschen mit schweren Behinderungen in Berlin für nicht ausreichend. Ursache dafür ist insbesondere der hohe zeitliche Aufwand und die personalintensive Betreuung, die in einem „Normalbetrieb“ nicht geleistet werden können.

 14. Wie wird dem Bedarf für PatientInnen nach einer etwaigen stationären Vor- oder Nachbetreuung Rechnung getragen?

Zu 14.: Dem Bedarf nach einer etwaigen stationären Vor- oder Nachbetreuung wird im Rahmen der Krankenhausplanung Rechnung getragen. Im Vivantes Klinikum Neukölln werden hierfür die Voraussetzungen geschaffen.

15. Sind dem Senat Probleme bei der Finanzierung ambulanter Narkosen bekannt? Wenn ja, wie wird diesen senatsseitig begegnet?

Zu 15.: Dem Senat sind aktuell keine Probleme bei der Finanzierung ambulanter Narkosen bekannt. Laut der KZV Berlin hat jedoch der Umfang der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Vollnarkosen bei Zahnarzteingriffen in der Vergangenheit zu Kontroversen geführt. Dies habe den Bewertungsausschuss im Jahr 2006 veranlasst, eine Klarstellung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) vorzunehmen. Im Kapitel für anästhesiologische Leistungen sei deshalb in der Präambel 5.1 eine neue Nr. 8 aufgenommen worden. Danach komme bei geistig und körperlich schwerst mehrfach behinderten Menschen ein Anspruch auf Vollnarkose als Sachleistung im Zusammenhang mit Zahnarzteingriffen in Betracht.

16. Ist seitens des Senates die Schaffung eines zentralen Behandlungszentrums in Berlin gewollt?

Zu 16.: Entsprechend der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU ist eine zentrale Stelle vorgesehen. Dazu werden die Verhandlungen zurzeit geführt.

17. Wie schätzt der Senat die Inanspruchnahme der zahnmedizinischen prophylaktischen Versorgung für Menschen mit Behinderung ein?

Zu 17.: Zahlen über die Inanspruchnahme der zahnmedizinischen prophylaktischen Versorgung für Menschen mit Behinderung liegen dem Senat nicht vor. Die Träger von Behinderteneinrichtungen weisen in ihren Gesprächen jedoch immer wieder darauf hin, dass die Prophylaxe in diesem Bereich verstärkt werden muss.

18. Welche Möglichkeiten sieht der Senat durch entsprechende Initiativen auf Bundesebene, die schlechte Vergütung (durch Budgetierung) zahnärztlicher Anästhesie zu verbessern, um diese Leistung wirtschaftlich anzubieten?

Zu 18.: Die Festlegung der Vergütung ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist nach dem SGB V grundsätzlich eine Aufgabe der Selbstverwaltung. Selbstverständlich wird jedoch die Senatsverwaltung immer wieder auf Defizite in diesem Bereich aufmerksam machen.

19. Sind dem Senat Probleme bei der freien Arztwahl nach SGB V bekannt, bei denen Behandlungen – ohne Begründung – verweigert wurden?

Zu 19.: Dem Senat und der KZV Berlin sind Probleme von Menschen mit Behinderung bei der freien Arztwahl, bei denen Behandlungen – ohne Begründung – verweigert wurden, nicht bekannt.

20. Mit welcher Bearbeitungszeit ist zu rechnen, wenn der Beschwerdeweg über die Krankenkasse oder die Kassenärztliche Vereinigung erfolgt?

Zu 20.: Nach Angaben der KZV Berlin erfolgt die Bearbeitung von Beschwerden so schnell wie möglich, das heißt in der Regel innerhalb von 1 bis 2 Tagen oder telefonisch sofort. Wie lange die Bearbeitung von Beschwerden bei den Krankenkassen dauert, konnte im Rahmen Kleinen Anfrage nicht ermittelt werden. Hierzu wäre eine Abfrage bei den Krankenkassen in Berlin über die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen und Krankenkassenverbände notwendig gewesen.

21. Existiert ein Berliner Praxisführer für die zahnärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen? Wenn ja, ist dieser barrierefrei bzw. in „leichter Sprache“ verfügbar?

Zu 21.: Ja. Die Zahnärztekammer Berlin hat einen Praxisführer mit dem Titel „Zahnärztliche Behandlung für Patienten mit Behinderungen und geriatrischen Problemen“ erstellt. Der Praxisführer ist sowohl als Broschüre erhältlich als auch auf der Homepage der Zahnärztekammer Berlin unter http://www.zaek-berlin.de/patienten/patientenberatung.html eingestellt. In dem Praxisführer finden Patientinnen und Patienten, aber auch Organisationen und andere Praxen vielfältige Informationen über behindertengerechte Praxen und Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit verschiedenen Behinderungen. Der Praxisführer ist nach Bezirken gegliedert und liefert durch übersichtliche Rubriken viele Auskünfte zu den Möglichkeiten der aufgeführten Praxen von rollstuhlgerechtem Zugang bis zu Behandlung unter Vollnarkose. Die Broschüre ist „barrierefrei“ und in „leichter Sprache“ abgefasst.

22. Ist der Ansagetext bei Anrufen beim zahnärztlichen Notfalldienst barrierefrei bzw. in „leichter Sprache“ verfügbar?

Zu 22.: Ja.

23. Sind die zahnärztlichen Notfallstellen bspw. auf das behinderungsbedingte Umsetzen der PatiententInnen auf einen Behandlungsstuhl organisatorisch vorbereitet und entsprechend ausgestattet – wenn nein, wie wird die zahnmedizinische Behandlung von Menschen die auf eine besondere technische Ausstattung angewiesen sind, sichergestellt?

Zu 23.: Dem Senat ist nicht bekannt, ob die zahnärztlichen Notfallstellen organisatorisch auf das behinderungsbedingte Umsetzen der Patientinnen und Patienten auf einen Behandlungsstuhl vorbereitet und entsprechend ausgestattet sind. Es ist aber davon auszugehen, dass in den genannten Krankenhäusern das Umsetzen von Patientinnen und Patienten mit Behinderung, die auf eine besondere technische Ausstattung angewiesen sind, auf einen Behandlungsstuhl kein Problem darstellen dürfte. Für die niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte gilt die Zulassungsverordnung für Zahnärzte. Diese enthält keine Regelungen dazu, wie die behindertengerechte Ausstattung einer Praxis auszusehen hat. Vor diesem Hintergrund kann die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales als Rechtsaufsicht über die KZV Berlin diesbezüglich auch keine aufsichtsrechtlichen Vorgaben machen.

 

Berlin, den 16. Januar 2013
In Vertretung
Emine D e m i r b ü k e n – W e g n e r
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Senatsverwaltung für
Gesundheit und Soziales
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Jan. 2013)