Ist das Maß für ein Gutachten die medizinische Spitzenversorgung?

Von Walid El-Khatib, Berlin

Dieser Artikel erhebt keinesfalls den Anspruch der Vollständigkeit. Es wurden bewusst spezielle Aspekte in Bezug auf die Gutachtenproblematik ausgesucht. Es sei angemerkt, dass wenn die männliche Form benutzt, wird selbstverständlich auch die weibliche auch angesprochen ist.

Ein Zahnarzt besitzt keine Glaskugel, in der die vielfältigen Variablen des Patientenorganismus zu sehen sind, um immer eine 100% sichere und kontrollierte Behandlung durchzuführen. Auch wenn Behandlungen durch Erfahrung und Technik eine gewisse Vorrausagbarkeit zeigen, bleibt jede seiner Entscheidungen trotzdem risikobehaftet. Trotz Drängen der Zahnmedizin in die Standardisierung können Fachleute die Augen vor diesen Unsicherheiten nicht verschließen. Erschwerend erscheint, dass schicksalshafte Verläufe auch seltener von Patienten als schicksalshaft akzeptiert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten schuldhaftes Verhalten des Behandlers annehmen, wird durch die zunehmende Technisierung der Medizin gefördert. Einen wesentlichen Anteil an dieser Sicht haben auch mediale Sensationsberichte über medizinische Behandlungsfehler. Richtigerweise unterliegen zahnärztliche Handlungen dem Dienstvertrag. Im Unterschied zum Werkvertrag wird der Erfolg dem Patienten nicht geschuldet, jedoch die Einhaltung des medizinischen Standards.

Was ist der zahnmedizinische Standard? In Ihm spiegeln sich zunächst deutlich sichtbare Erfahrungen und Empfehlungen. Diese betreffen das diagnostische und therapeutische Vorgehen. Sie sind der Anker, von denen aus der Zahnarzt in Aktion treten und auf die er sich – falls notwendig – zurückziehen kann. Diese sind Festlegungen allgemein anerkannter Richtlinien. Entscheidend ist, dass sie sich in der Praxis bewährt haben. Diese Richtlinien sind jedoch juristisch nicht verbindlich. Bezieht man sich in seiner Behandlung auf die Therapiefreiheit und weicht bei der Behandlung vom Standard ab, so ist einiges unbedingt zu beachten. Zunächst müssen sachliche Gründe dafür angeführt werden, die zeigen, dass eine gewissenhafte Chancen-Risikoabwägung vorgenommen wurde. Der medizinische Standard beruft sich auf wissenschaftliche Erkenntnis. Folglich gibt es eine allgemeine professionelle Akzeptanz. Sachverständige sollten nicht dazu neigen ihre eigene Methode zu verabsolutieren oder die Messlatte zu hoch anzusetzen, wie es die Möglichkeiten an einer Universitätsklinik mit Spitzenversorgung erlaubt, die den Standard einer medizinischen Spitzenversorgung schuldet. Es kommt auf die faktisch für den Patienten erreichbaren Gegebenheiten an, so dass nicht optimaler, sondern ausreichender medizinischer Standard zugrunde gelegt werden soll.

Eine der wichtigsten Forderungen an einen Sachverständigen ist strikte Objektivität. Dies kommt durch Inhalt und Ausdrucksweise seiner Ausführungen zu Tage und ist ein Maß für seine Unparteilichkeit. Ein Nachteil kann es sein, dass der Sachverständige Kollegen an Maßstäben messen muss, von denen er weiß, dass er Ihnen selbst nicht immer genügen kann. Objektivität bedeutet Neutralität und damit Vorurteilsfreiheit. Eine bedeutende Rolle spielt bei der Betrachtung die Einhaltung der Sorgfaltspflicht.

Was ist die Sorgfaltspflicht oder wie ist Sie definiert? Bei der Betrachtung geht es um die Achtsamkeit und Genauigkeit mit der gehandelt wird. Die Sorgfalt richtet sich nach dem jeweiligen Standard zum Zeitpunkt des medizinischen Handelns. Gesichert soll dies durch die zivilrechtliche als auch strafrechtliche und berufsrechtliche Verpflichtung zur Fortbildung untermauert werden. Bekanntlich ist, dass bei Kassenleistungen nicht selten die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebot mit den für den Vertragszahnarzt maßgeblichen medizinischen Maßstäbe der Regeln der zahnärztlichen Kunst sowie des allgemeinen Standes der medizinischen Wissenschaften andererseits bei Leistungserbringung in Konflikt geraten können.

Auch das Handeln des Sachverständigen unterliegt Regeln, die Kollegen kennen sollten, die sich mit einem Gutachten auseinandersetzen müssen. Hier seien kurz einige wichtige erwähnt. Zu den Begutachtungsmängeln gehört z.B. das Außerachtlassen von vorhandenen wesentlichen Fakten. Kommt noch ein Aufbau hypothetischer Gebilde mit persönlichen Wertungen hinzu, so ist das Gutachten unbrauchbar. Ein Gutachten muss in sich schlüssig und logisch aufgebaut sein unter Beachtung der Beweiswürdigung. Jegliche untauglichen Versuche der Hilfestellung sowohl für den Beklagten als auch Angeklagten sind verboten und können zur Ablehnung des Gutachters führen. Auch kann es vorkommen, dass durch den Richter die Beauftragung des falschen Gutachters geschieht wie etwa die Beauftragung eines Chirurgen zur Beurteilung einer prothetischen Leistung.

Richter sind medizinische Laien. Führt der Gutachter eine unzulässige Ermittlung kraft seines Amtes durch, so ist dies ebenfalls nicht zulässig. Es ist sollte keine fachliche Eitelkeit erkennbar sein und schon gar nicht einer Ihm nicht zustehenden Beurteilung rechtlicher Fragen vorzunehmen. Dies sollten Kollegen wissen, wenn Sie einem Gutachten ausgesetzt sind, bei der das Gefühl aufkommt, dass es um mehr geht als die sachliche Aufarbeitung eines Sachverhaltes.

Im Konfliktfall zwischen Zahnarzt und Patient handelt es sich meistens um den Vorwurf eines Behandlungsfehlers. Jedoch was ist ein Behandlungsfehler? Ein Behandlungsfehler kann nicht nur durch Handeln, sondern auch durch Unterlassen entstehen. Regeln zahnärztlicher Kunst sind Sorgfaltsgebote und ein sich Beziehen  auf der Überzeugung und praktischen Ausübung der breiten Mehrheit der Zahnärzte. Ein gravierender Fehler ist der grobe Behandlungsfehler. Dieser liegt vor, wenn der Zahnarzt eindeutig gegen bewährte zahnärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte zahnmedizinische Erkenntnisse verstößt. Wesentlich ist, dass aus objektiver Sicht dieser nicht mehr verständlich erscheint, weil er dem Zahnarzt schlichtweg nicht unterlaufen darf. Damit ist keinesfalls etwa der Misserfolg gemeint. Der Misserfolg einer Behandlung ist kein Nachweis für schlechte Qualität einer Behandlung.

Ferner behaupten Patienten im Konfliktfall sie seien nicht aufgeklärt worden. Lag tatsächlich keine Aufklärung vor, so verliert der Eingriff seine juristische Legitimität. Der Vorwurf der Körperverletzung liegt dann im Raum. Jede Einwirkung auf die körperliche Integrität und somit jede Heilbehandlung, sei sie invasiv oder medikamentös, ohne Rücksicht, ob sie erfolgreich verläuft, der Zustimmung des Patienten als Rechtfertigungsgrund, der den Zahnarzt legitimiert, Körperverletzungen straflos zu verüben. Deshalb gehört es zu den besonders bedeutsamen Berufspflichten eine gute und ausreichende Aufklärung vorzunehmen und im Anschluss sich den Eingriff vom Patienten per Einwilligung abzusichern.

Die Aufklärung umfasst: therapeutische Aufklärung, Diagnoseaufklärung, Verlaufsaufklärung, Risikoaufklärung, Kostenaufklärung,

Die Verlaufsaufklärung zeigt die Entwicklung des Zustandes ohne Behandlung und die zu erwartende Änderung nach erfolgter Behandlung. Dabei wird über Art, Schwere, Umfang, Durchführung und Schmerzhaftigkeit des Eingriffes informiert. Über den Zustand zu erwartende mögliche und wahrscheinliche Folgen nach dem Eingriff. Es müssen die Erfolgschancen bzw. die Versagerquote wie auch die Entwicklung ohne den Eingriff angesprochen werden. Das Aufklärungsgespräch sollte weder Monolog noch Vortrag sein. Es soll ein vertrauensvolles Gespräch zwischen Zahnarzt und Patient sein, was keineswegs die Verwendung von Merkblättern ausschließt, in denen die notwendigen Informationen zu dem Eingriff einschließlich seiner Risiken schriftlich festgehalten werden. Zusätzlich zu der Aufklärung ist die Einwilligung des Patienten für den Eingriff erforderlich. Eine Einwilligung kann nur dann wirksam sein, wenn der Patient über Sinn und Zweck einer zahnmedizinischen Maßnahme Bescheid weiß. Die bloße Einwilligung ermächtigt den Zahnarzt nicht zum Eingriff, denn sie muss aus ärztlicher Sicht geboten sein.

Eine wichtige Frage im Konfliktfall ist die der Dokumentation. Sie dient als persönliche Gedächtnisstütze sowie als Anknüpfungspunkt für Auskünfte gegenüber Patienten. Auch ist diese elementar zum Nachweis erbrachter Leistungen. Aus dem Fehlen der Dokumentation einer ärztlichen Maßnahme kann grundsätzlich hergeleitet werden, dass die Maßnahme selbst unterblieben ist. Aber auch für Berichte und Gutachten ist Sie eine gute Gedächtnisstütze. Kommt es zu einem Gerichtsverfahren so dient Sie auch zur Vermeidung von Beweislücken. Im Grunde ist Sie auch auf langer Sicht eine Dokumentation zur Selbstkontrolle.

Abschließend sei erwähnt, dass eine Begutachtungssituation immer eine sehr undankbare Situation ist. Es ist wichtig die Spielregeln zu kennen und die eigenen Möglichkeiten falls notwendig sich zu wehren zu wissen.