Leserbrief an die zm zum Artikel „Zahnmedizin in der Corona-Krise“

Gerne veröffentlichen wir einen Leserbrief des Berliner Zahnarztes Herrn Klaus-Peter Jurkat zu einem Artikel in der zm vom 01.05.2020:

Betrifft:

Was wir wissen und was vermutet wird
Zahnmedizin in der Corona-Krise
von Prof. Dr. Christoph Benz
u.a. Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer e.V.

 

Sehr geehrter Prof. Benz,

gerne möchte ich Ihrer Analyse trauen, aber der Glaube fehlt mir dennoch.

Ich versuche eine Einordung: Aus vielen, doch recht vagen Indizien kommen Sie zu dem Schluss, dass unsere zahnärztliche Behandlung für Team und Patient auch in Corona-Zeiten weitgehend sicher ist.

Ihr zentrales Argument ist dabei die Wuhan-Studie. Wesentlicher Inhalt der Veröffentlichung, und auch im Webinar der DGI, ist jedoch: Ausführliche Beschreibung des Hygienemanagements der Zahnklinik nach dem Shutdown in Wuhan: Nur noch Schmerzpatienten unter massiv verstärktem Hygienemanagements und damit auch starke Reduktion der effektiven Behandlungszeit und der Patientenzahlen (auf ein hundertstel). Hier wurden keine Infektionen der Behandler festgestellt. Zusätzliche Maßnahme war, wohl auch bis heute: Behandlungsverbot für alle Private Praxen! Das sollte nicht unerwähnt bleiben. Ihr eigentliches Argument bauen Sie jedoch auf einem Nebenaspekt der Studie auf: Die Zeit vor dem Logout in Wuhan. Für diese Zeit ist eine wissenschaftlich belastbare Datenlage nicht zu erkennen. Es liegen keine Daten zur Durchseuchung des Patientenguts vor; somit können auch keine Überschlagsrechnungen zum Infektionsrisiko des Personals gemacht werden. Es wird auch nicht dargelegt ob und wie die Behandler untersucht wurden. Hinzu kommt, dass für diese Zeit weder PCR- noch Antikörper-Tests zur Verfügung standen.

Kritisch sehe ich auch Ihre Argumentation zum Vergleich MNS/ FFP2, und hier muss ich etwas ausholen. Der ursprüngliche Einsatzort der FFP2 Masken ist die Industrie, hier geht es im Wesentlichem darum, die MAK- Werte bei Stäuben einzuhalten. Dort mag es ja sinnvoll sein die Innen-Leakage (nach EN 149) mit 11% zu akzeptieren. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob das für Virenübertragungen ein akzeptabler Wert ist. Ein kleines Rechenbeispiel:

Eine übliche einstündige Behandlung mit FFP2 führt demnach zur selben ungefilterten Luftmenge, wie eine rund 6 minutige Behandlung ohne Maske (Nach dieser Logik könnten dann zackige Notfallbehandlungen ohne MNS/FFP2 durchgeführt werden!?). Das Hauptproblem dürfte jedoch sein, dass die EN 149 davon ausgeht, dass kein Gesichts-Leakage vorhanden ist, ansonsten ist von einer Schutzwirkung nicht mehr zu sprechen. Wie wird das in unseren Praxen validiert? An dieser Stelle sehe ich übrigens den Punkt aus unserem zahnärztlichen Dilemma herauszukommen: Es braucht praktisch zu handhabende Masken, mit perfekter Gesichtsabdichtung (eigentlich unser Gebiet, Stichwort: Dorsale Randabdämmung, ggf. individuell hergestellt).

Hinweisen möchte ich jedoch noch auf die diagnostische Unzulänglichkeit. Rund 50% der Virusübertragungen sollen im präsymptomatischem Stadium stattfinden. Praktisch wird es doch so sein, dass Patienten mit Husten, Fieber usw. gar nicht in der Praxis auftauchen werden. Wir werden also infektiöse Patienten zu 100% nicht erkennen. Auch hier sehe ich die weitgehende Lösung in perfekt sitzenden Masken. Insgesamt erscheint mir dieses kleine No-Leakage-Accessoire die einzige Möglichkeit, das breite Patientenvertrauen wieder zu gewinnen, vielleicht auch durch ein Zertifikat: Atemschutz? Das gleiche gilt natürlich für unsere ZFAs und besonders auch unsere ZMPs, die ja am riskantesten arbeiten. Mit Zahlenspielereien wird da nicht viel zu gewinnen sein. Erst dann wird der Begriff: „Hoher deutscher zahnärztlicher Hygienestandard“ wieder gerechtfertigt sein. Alles andere ist Katastrophen-Improvisation.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus-Peter Jurkat
Zahnarzt aus Berlin-Spandau

 

Hinweis:
https://www.unibw.de/lrt7/bericht_atemschutzmaske_unibw_lrt7_06_04_2020.pdf