BGH: Am Verfahren nicht beteiligte Dritte haben Anspruch auf anonymisierte Abschrift von Gerichts­ent­scheidungen – Verweigerung nur in besonderen Ausnahmefällen möglich

BGH Leitsatz

In Zivilsachen kann der Gerichtsvorstand am Verfahren nicht beteiligten Dritten regelmäßig anonymisierte Abschriften von Urteilen und Beschlüssen erteilen, ohne dass dies den Anforderungen an die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 2 ZPO unterliegt.
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BGH, Beschluss vom 5. April 2017, IV AR(VZ) 2/16
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Auszüge dem Beschluss:
  • Der Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen ist dagegen – wie das Verfahren generell (§§ 169, 173 GVG) – öffentlich.
  • Gerichtsentscheidungen unterliegen nicht der Geheimhaltung, soweit nicht ausnahmsweise unabweisbare höhere Interessen die Unterrichtung der Allgemeinheit oder einer einzelnen Person verbieten.
  • Ein Verfahrensbeteiligter kann daher grundsätzlich nicht ausschließen, dass die ihn betreffende Entscheidung auch veröffentlicht wird … , auch wenn die Prozessparteien der Öffentlichkeit oder einzelnen Dritten trotz Anonymisierung bekannt sein mögen.
  • Die Weitergabe anonymisierter Entscheidungsabschriften an Dritte ist daher … Teil der öffentlichen Aufgabe der Gerichte, Entscheidungen zu veröffentlichen … .
  • Aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgt grundsätzlich eine Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen… .
  • Der Bürger muss zumal in einer zunehmend komplexen Rechtsordnung zuverlässig in Erfahrung bringen können, welche Rechte er hat und welche Pflichten ihm obliegen; die Möglichkeiten und Aussichten eines Individualrechtsschutzes müssen für ihn annähernd vorhersehbar sein. Ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung ist dies nicht möglich… .
  • Die Befugnis zur Weitergabe von Urteilen und Beschlüssen beschränkt sich daher nicht auf Entscheidungen, die nach Ansicht des betreffenden Gerichts veröffentlichungswürdig sind, zumal entsprechende Anfragen aus der Öffentlichkeit regelmäßig ein öffentliches Interesse belegen… .
  • Es ist … nicht ausgeschlossen, dass die Mitteilung einer anonymisierten Entscheidungsabschrift in Ausnahmefällen verweigert werden kann. … Erforderlich wären … unabweisbare höhere Interessen, die eine Abweichung vom Grundsatz der Öffentlichkeit gebieten.