Berliner Verwaltungsgericht stärkt Partizipationsgerechtigkeit zugunsten von Minderheitenfraktionen in Selbstverwaltungskörperschaften

In einem bemerkenswerten Urteil vom 09. Februar 2011 (Az 14 K 223.09) führt das Berliner Verwaltungsgericht begründet aus, dass der Spiegelbildlichkeitsgrundsatz, „demzufolge Ausschüsse eines Parlamentes die Zusammensetzung des Plenums verkleinert abbilden müssen „, auch für Selbstverwaltungskörperschaften zur Anwendung kommen muss. Gleiches gilt für den Grundsatz der Diskontinuität, das also die Legitimation von Ausschüssen zeitlich nicht weiter reichen kann, als die eines Parlamentes selbst.

Anlass ist ein Klageverfahren, welches die Berliner Ärztekammer betreffend ihrer Ärzteversorgung gegen das Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz als ihre Staatsaufsicht geführt hat. Es geht hierbei um die Umsetzung von Änderungen aus dem Juni 2006 in Paragraf 4b des Berliner Kammergesetzes (Materialiendokumentation siehe BZF hier und hier). Allerdings erscheint mir für die übergreifende Bewertung des Urteils der eigentliche Verfahrensgegenstand weniger wichtig, als vielmehr der Umstand, dass sich die Berliner Verwaltungsrichter mit Systemfragen auseinandersetzen und diese nach dem Grundsatz „wie im Großen – so auch im Kleinen“ durchargumentieren. Auch für Selbstverwaltungskörperschaften gelten demnach die gleichen Spielregeln, wie auch in öffentlichen Parlamenten.

Davon abgesehen, dass das Berliner Verwaltungsgericht dadurch einen Beitrag zum Anerkenntnis von Selbstverwaltungskörperschaften als „Demokratieträger“ leistet (und nicht der Versuch einer Reduktion auf einen „Verwaltungsträger“ erfolgt), leistet das Urteil außerdem einen Beitrag um sicherzustellen, dass auch Minderheitsfraktionen Zugang zu den Gremien in den Selbstverwaltungskörperschaften erhalten. Denn es ist kommt vor, dass Mehrheitsfraktionen genau dies zu verhindern versuchen.

Eine wichtige Aussage macht das Gericht zur persönlichen Diskontinuität: „Ebenso muss nach diesen Grundsätzen die individuelle Position als Mitglied der Vertreterversammlung [Anm.: Der Ärzteversorgung] an den Fortbestand der Mitgliedschaft in der Delegiertenversammlung [Anm.: Der Ärztekammer] geknüpft sein, denn die Beendigung der Legitimation in der Delegiertenversammlung beseitigt gleichzeitig die Legitimation des Betreffenden in der Vertreterversammlung.“

Das Urteil stammt zwar „nur“ von einem erstinstanzliche Verwaltungsgericht und bezieht sich im konkreten Fall auf eine Landesgesetzgebung, es hat also keine bundesweite Bindungswirkung, dennoch lassen sich seine Feststellungen im Bereich der Selbstverwaltungskörperschaften der Heilberufe argumentativ länderübergreifend auf alle Kammern, Versorgungswerke und Kassenärztliche Vereinigungen übertragen.

Leitsatz:

Die Zusammensetzung des Organs einer Selbstverwaltungskörperschaft, das Satzungsbefugnis besitzt, muss den aus dem Demokratieprinzip folgenden Grundsätzen der Spiegelbildlichkeit und der Diskontinuität Rechnung tragen.

 

Das Urteil ist seit dem 05. April 2011 rechtskräftig.

Noch eine kleine Randnotiz:
Unter der selben Vorsitzenden Richterin hatte die 14. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts im Jahr 2007 die Wahl zur Delegiertenversammlung der Zahnärztekammer Berlin 2006 für ungültig erklärt. Wie man sehen kann, verfasst die 14. Kammer sehr interessante Urteile.

 

 

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