Koalitionsvertrag: Gesundheit

Aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
vom 27.11.2013 für die 18. Legislaturperiode

2.4. Gesundheit:

Ambulante Gesundheitsversorgung
Im Zentrum unserer Gesundheitspolitik stehen die Patientinnen und Patienten und die Qualität ihrer medizinischen Versorgung. Die Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ist unverzichtbares Element für die flächendeckende ambulante Versorgung. Sie ist ein Garant für die Diagnose- und Therapiefreiheit und für die freie Arztwahl.

Zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung wollen wir die Anreize zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten weiter verbessern. Darum werden wir unnötige bürokratische Anforderungen abbauen und die Rahmenbedingungen für Zulassungen für Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten flexibilisieren. Die Möglichkeit zur Zulassung von Krankenhäusern zur ambulanten Versorgung in unterversorgten Gebieten wird verbessert. Dazu wird bei der Ermächtigung in § 116 a SGB V das Wort „kann“ durch „muss“ ersetzt und eine jährliche verbindliche Überprüfung eingeführt. Die Förderung von Praxisnetzen wollen wir verbindlich machen und ausbauen. Die gesetzlichen Vorgaben zum Abbau von Überversorgung durch den Aufkauf von Arztsitzen werden von einer „Kann“ in eine „Soll“-Regelung überführt.

Für gesetzlich Versicherte wollen wir die Wartezeit auf einen Arzttermin deutlich reduzieren. Sie sollen sich zukünftig bei Überweisung an einen Facharzt an eine zentrale Terminservicestelle bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) wenden können. Diese vermittelt innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin. Für den Termin soll im Regelfall eine Wartezeit von vier Wochen nicht überschritten werden. Gelingt dies nicht, wird von der Terminservicestelle ein Termin – außer in medizinisch nicht begründeten Fällen – zur ambulanten Behandlung in einem Krankenhaus angeboten. Die Behandlung erfolgt dann zu Lasten des jeweiligen KV-Budgets. Diese Terminservicestellen können in Kooperation mit Krankenkassen betrieben werden.

Wir wollen auch in der Zukunft die Rolle des Hausarztes fördern und die hausärztliche Versorgung weiter stärken. Die von Fachärztinnen und Fachärzten erbrachten hausärztlichen Leistungen sollen zukünftig nicht den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung mindern. Dies gilt umgekehrt für von Hausärztinnen und Hausärzten erbrachte fachärztliche Leistungen.

Die Vertreterversammlungen von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Kassenärztlichen Vereinigungen werden zu gleichen Teilen aus Haus- und Fachärztinnen und -ärzten gebildet. Über rein hausärztliche Belange entscheiden die hausärztlichen Mitglieder der Vertreterversammlung, über rein fachärztliche Belange die fachärztlichen Mitglieder der Vertreterversammlung. Für angestellte Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung werden wir verpflichtend einen beratenden Fachausschuss vorsehen.

Künftig werden auch arztgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren zugelassen. Außerdem wird es auch Kommunen ermöglicht, Medizinische Versorgungszentren zu gründen; davon unberührt gilt der Vorrang eines ärztlichen Bewerbers (§ 103 Abs. 4c SGB V). Bei Vergütung und Zulassung dürfen die Medizinischen Versor-gungszentren im Rahmen des bestehenden Rechts nicht benachteiligt werden.

Wir werden für Arznei- und Heilmittel gesetzlich vorgeben, dass die heutigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen bis Ende 2014 durch regionale Vereinbarungen von Krankenkassen und Kassenärztlicher Selbstverwaltung ersetzt werden. Unberechtigte Regressforderungen bei Retaxationen gegenüber Heilmittelerbringern wollen wir zu-dem unterbinden.

Der Einsatz von qualifizierten nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen, die delegierte ärztliche Leistungen erbringen, soll flächendeckend ermöglicht und leistungsgerecht vergütet werden. Modellvorhaben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistung sollen aufgelegt und evaluiert werden. Je nach Ergebnis werden sie in die Regelversorgung überführt.

Die Krankenkassen müssen Freiräume erhalten, um im Wettbewerb gute Verträge gestalten und regionalen Besonderheiten gerecht werden zu können. Für die verschiedenen Möglichkeiten zur Vereinbarung von integrierten und selektiven Versorgungsformen (§§ 63 bis 65, 73a, 73b, 73c, 140a ff. SGB V) werden die rechtlichen Rahmenbedingungen angeglichen und bestehende Hemmnisse bei der Umsetzung beseitigt. Gleichartig geregelt werden insbesondere die Evaluation integrierter und selektiver Versorgungsformen durch eine Vereinbarung der Vertragspartner sowie der Nachweis der Wirtschaftlichkeit gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde nach jeweils vier Jahren. Wir werden Regelungen zur Mindestdauer und zur Substitution der Regelversorgung aufheben und die Bereinigungsverfahren vereinfachen. Versorgungsformen, deren Qualität und Wirtschaftlichkeit erwiesen ist, sollten in ge-eigneter Weise in die Regelversorgung überführt werden.

Die Verfügbarkeit der Routinedaten aus der Gesetzlichen Krankenversicherung für die Versorgungsforschung und für das Versorgungsmanagement der Krankenkassen wollen wir erhöhen. Die Morbidität soll künftig zudem nicht nur mit Leistungsdaten bestimmt werden, mittelfristig sollen auch epidemiologische Daten herangezogen werden. Zur Verbesserung der Datenlage für die Versorgungsforschung werden zukünftig Regionalkennzeichen der patientenbezogenen Ausgaben erhoben.

Elektronische Kommunikations- und Informationstechnologien können die Leistungsfähigkeit in unserem Gesundheitswesen weiter verbessern. Dies gilt insbesondere für die Versichertenstammdaten, die Notfalldaten, die Kommunikation zwischen allen Leistungserbringern, Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit und Daten für ein verbessertes Einweisungs- und Entlassmanagement. Hindernisse beim Datenaustausch und Schnittstellenprobleme werden beseitigt und der Anbieterwettbewerb zwischen IT-Anbietern befördert. Dabei muss ein hoher Datenschutz beachtet werden. Telemedizinische Leistungen sollen gefördert und angemessen vergütet werden.

Wir werden einen neuen Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen im Strafgesetzbuch schaffen.

Gesundheitsberufe und Medizinstudium
Für eine zielgerichtetere Auswahl der Studienplatzbewerber, zur Förderung der Praxisnähe und zur Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium wollen wir in einer Konferenz der Gesundheits- und Wissenschaftsminister von Bund und Ländern einen „Masterplan Medizinstudium 2020“ entwickeln.

Prävention und Gesundheitsförderung in den Vordergrund stellen
Wir werden noch 2014 ein Präventionsgesetz verabschieden, das insbesondere die Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten wie Kita, Schule, Betrieb und Pflegeheim und die betriebliche Gesundheitsförderung stärkt und alle Sozialversicherungsträger einbezieht.

Die Kooperation und Koordination aller Sozialversicherungsträger sowie der Länder und Kommunen werden über verpflichtende Rahmenvereinbarungen analog der Regelungen zur Förderung der Zahngesundheit (§ 21 SGB V) und von Schutzimpfungen (§ 20d Abs. 3 SGB V) auf Landesebene verbessert. Dabei sind bundesweit ein-heitliche Gesundheitsziele und Vorgaben zur Qualität und Evaluation zu berücksichtigen. Länderpräventionsansätze werden einbezogen.

Finanzierung und Risikostrukturausgleich
Die derzeitige gute Finanzlage der Gesetzlichen Krankenversicherung darf nicht da-rüber hinweg täuschen, dass schon ab 2015 die prognostizierten Ausgaben des Gesundheitsfonds seine Einnahmen übersteigen werden. Dem wollen wir mit einer umsichtigen Ausgabenpolitik begegnen.

Der allgemeine paritätisch finanzierte Beitragssatz wird bei 14,6 Prozent festgesetzt, der Arbeitgeberanteil damit bei 7,3 Prozent gesetzlich festgeschrieben.

Die gesetzlichen Krankenkassen erheben im Wettbewerb den kassenindividuellen Zusatzbeitrag zukünftig als prozentualen Satz vom beitragspflichtigen Einkommen.

Der heute vom Arbeitnehmer alleine zu tragende Anteil von 0,9 Beitragssatzpunkten fließt in diesen Zusatzbeitrag ein. Damit die unterschiedliche Einkommensstruktur der Krankenkassen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt, ist ein vollständiger Einkommensausgleich notwendig.

Die Notwendigkeit eines steuerfinanzierten Sozialausgleichs entfällt damit.

Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) bildet die finanzielle Ausgangslage für einen fairen Wettbewerb zwischen den Kassen. Die im jüngsten Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundesversicherungsamtes gemachten Vorschläge zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs zur Annualisierung der Kosten für verstorbene Versicherte sowie zum Krankengeld und den Auslandsversicherten wollen wir zeitgleich umsetzen.