zFlüchtlingshilfe: Ein ganz normaler Freitag im Olympiapark

Nachfolgend ein Bericht von Frau Zahnärztin Sabine Schweden aus dem Standort Glockenturmstraße / Olympiagelände. Zum Verständnis: Dieser Standort stellt eine „Durchgangs-Notunterkunft“ dar. Jeden Tag kommt aus Freilassing, bzw. direkt aus Österreich, ein Zug mit Flüchtlingsmenschen am Bahnhof Schönefeld an. Die für Berlin bestimmten Menschen werden dann per Shuttle-Bus immer in die Glockenturmstraße gefahren, von wo aus sie, spätestens nach der offiziellen Registrierung in der LaGeSo-Außenstelle in der Kruppstraße, dann weiterverteilt werden. Jeden Tag bedeutet: auch am Wochenende und hinzu kommen noch Busse aus Bayern, welche manchmal auch um Mitternacht dort ankommen. Wer heute also dort ankommt, kann morgen also schon weg sein. Entsprechend „unplanbar“ gestaltet sich die zahnärztliche Nothilfe.

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Tagesbericht vom 06.11.2015 – Ein ganz normaler Freitag

Heute Vormittag in meinem Dienst ca. zehn (10) Not -Patienten denen durch einen kurzen zahnärztlichen Eingriff geholfen werden konnte.
Die Anderen denen nebenbei mal eben eine Schmerztablette in die Hand gedrückt wurde (da fehlte dann mal grade die Zeit den Patienten „offiziell“ aufzunehmen) oder denen ärztlicher Beistand geleistet wurde, werden hier schon seit Wochen nicht mehr gezählt!

In jeder „normalen“ Praxis wären 10 Patienten am Vormittag evtl. eine lächerliche Zahl, aber Bitte: hier ist keine Bestellpraxis, hier gibt es keine Chipkarte die man ob der Personalien etc. einlesen könnte (Scheine? Was ist das?), kein Personal, das die Dokumentation oder Assistenz vornimmt….. Nur Schmerzpatienten, die verschiedene Sprachen sprechen…., nicht wissen/wissen wollen, dass es der Reihe nach geht: nicht der Lauteste zuerst, nicht Mann vor Sohn vor Frau vor Tochter…..!
Alles selbst wieder reinigen, so gut wie möglich desinfizieren….Den nächsten Patienten aufnehmen und dokumentieren, Farsi, Urdu , Arabisch…., Dolmetscher wäre jetzt prima…, aber oben kommen wieder Busse mit neuen Menschen an. Die Dolmetscher werden dort gebraucht…!

Man bleibt gymnastiziert wenn man verschiedene Zahnschmerzarten mimisch ausdrücken muss.
Alles gut, das „Erdet“ auch für die Arbeit in der eigenen Praxis!

Der als Behandlungsstuhl fungierende Massagestuhl sorgt zumindest nicht nur für „Rücken“, sondern auch manchmal „Uups“ für kleine Lacher ( so schnell kann sich normalerweise kein Patient durch plötzliches „abtauchen“ der Behandlung entziehen ).

Ach so, die RKI- Hinweise nicht vergessen:
Erstaufnahmezentren/NUK für Flüchtlinge: Informationen für das medizinische Personal:

In den Behandlungsräumen möglichst oft lüften, den eigenen Impfstatus überprüfen… — Wie sagte Herr Dr.S. von der Charité erst kürzlich, als ich ihn zur „Beihilfe“ der ärztlichen Untersuchung hinzuziehen musste: “ jetzt auch egal, hier ist sowieso alles in den Räumen…“, – er hat ja recht, in den Umkleiden einer Sporthalle gibt’s kein Fenster das man mal aufmachen kann…, deshalb Behandlung bei offener Tür im ZA-Bereich. Das sorgt für Luft und Publikum.
Aber in einer Massenunterkunft wie Dieser ist Privatsphäre sowieso nur ein frommer Wunsch…

Dann plötzlich, aus der Mobilen Einheit läuft Wasser, leider nicht daraus wo es sein sollte!
Kurzer Check: Alles was man tastend im Koffer erreicht ist trocken: Schläuche sitzen im sichtbaren Bereich dort wo sie hingehören, Wasserbehälter o.B., Abwasserbehälter o.B.,….
Dank der Schwerkraft läuft es aus dem Koffer unten raus… Elektrik und Wasser… Scheisse.. !
OK, Murphys Gesetz: Freitag-Mittag erreicht man eh keinen mehr der reparieren kann…Versuche über Whatts App oder Mobiltelefon scheitern also nicht nur dank des nur partiellen Empfangs….

Dennoch, der Teufel sch….. zwar immer auf den dicksten Haufen, aber wie immer auch manchmal im guten Sinn:
-Amer ist da, unser noch nicht offiziell registrierter syrischer Flüchtlings-Kollege: er hilft den hier tätigen Kollegen nicht nur durch Dolmetschen so oft es seine unfreiwilligen Wartezeiten am Lageso zulassen (dies ist ein Kapitel für sich!) !
-Die Damen vom Malteser-Krankenhaus stehen mit Desinfektionsmittel- und anderen Einmalartikel-Spenden plötzlich im Raum!
-Die ZÄK hat gestern einen Karton mit Spenden im Raum abgegeben,….
-Patienten denen geholfen wurde, die in den Sprachen/Gesten der Welt für die Hilfe danken….

Das entschädigt für die menschlichen Schicksale die einem täglich hier begegnen…! Davon kann jeder hier Tätige mittlerweile fast einen Roman schreiben…!

Und Sie dürfen mir glauben: mit jedem Tag mehr, den man hier im Einsatz verbringt wird das Herz härter gegenüber denen, die sich hier die Hilfe offensichtlich „erschleichen“ (Ja, auch diese Menschen gibt es hier. Wir sind hier nämlich weder blöd noch blind! Müssen aber jedem Schmerzpatienten unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion und Geschlecht helfen…!).
Noch reicht Herz und Hand für die, die unserer Hilfe bedürfen!

Vieles was man hier erlebt und von den geflüchteten Menschen erfährt, geht weit über das was eine medizinische Hilfe leisten kann hinaus!!!!

Und dennoch sind wir alle jeden Tag bereit wieder zu helfen, zu trösten, ein Schicksal allein durch zuhören zu teilen…! Möglichst nichts von dem was man hier erlebt mit nach Hause nehmen…., das fällt schwer, ist aber der einzige Weg….

Und nun im Anhang noch ein paar Bilder.
Wie man sieht: alles Schick…, das Wochenende naht und die Medikamente gehen langsam aus. Werde es heute nicht mehr schaffen die Bestellungen rauszuschicken, bin schon wieder viel länger hier als im Dienstplan ausgewiesen. Bestellungen müssen bis 14.00 Uhr raus sein. Dadurch, dass jeder Arzt/Zahnarzt/Pfleger auf die Medikamente Zugriff hat und wir Alle nie wissen wieviele hilfsbedürftige Menschen den Medicalpoint aufsuchen, wird die Planung nicht leichter… Helfende Ärzte sind für das Wochenende immer noch nicht eingetragen…

Nach der Schicht:
auf den Senats-Twitter schauen: wieviele Menschen kommen neu an…?! Die Informationen darüber kommen so, dass an eine geordnete Planung nicht zu denken ist….! Egal, für heute ist’s genug!
Drücke den Kolleginnen vom Wochenenddienst die Daumen!

An dieser Stelle, allen Kolleginnen und Kollegen: Danke für Euren Einsatz!!!!!

Herzlichst,
Sabine Schweden

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