BSG erklärt Einhaltung der spiegelbildlichen Ausschussbesetzungen in Selbstverwaltungskörperschaften als eine Pflicht – Teil II

Zu „BSG erklärt Einhaltung der spiegelbildlichen Ausschussbesetzungen in Selbstverwaltungskörperschaften als eine Pflicht„, liegt jetzt der Urteilstext (neuer Link) zu B 6 KA 4/14 vom 11.02.2015 vor.

Die Ausschüsse in den Selbstverwaltungskörperschaften sind spiegelbildlich zu besetzten. Ist dies nicht möglich, so „ist ein Ausgleich unter Gewichtung und Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen herbeizuführen...“.

Die wesentlichen Sätze und Passagen zum Thema Spiegekbildlichkeit lauten auszugsweise:

  • 27. Das SG hat zu Recht entschieden, dass auch im Bereich der Selbstverwaltung im Grundsatz das Prinzip der Spiegelbildlichkeit für die Ausschussbesetzung maßgeblich ist.
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  • 27. Das BVerfG hat dieses Prinzip in ständiger Rechtsprechung in Bezug auf die Besetzung der Ausschüsse des Bundestages entwickelt und entschieden, dass grundsätzlich jeder Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums in seiner politischen Gewichtung widerspiegeln muss.
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  • 27. Durch ihre Aufgabenstellung seien die Ausschüsse des Bundestages in die Repräsentation des Volkes durch das Parlament einbezogen… Es folge daher aus der Freiheit und Gleichheit des Mandats nach Art 38 Abs 1 GG und der Repräsentationsfunktion des Bundestages (Art 20 Abs 2 GG), dass die Gremien, in die die Repräsentation des Volkes verlagert werde, in ihrer politischen Prägung dem Plenum entsprechen müssten… Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit schützt mithin den Anspruch jedes Mitglieds und jeder Fraktion auf gleichberechtigte Mitwirkung an der gesamten Tätigkeit des Bundestages…
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  • 28. Das BVerwG hat den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit für die Bildung der Ausschüsse in den Gemeindevertretungen übernommen. Dies folge aus dem Prinzip der demokratischen Repräsentation und der Einbeziehung der Gemeindevertretungen in dieses Prinzip. Auch die Ausschüsse von Gemeindevertretungen dürften nicht unabhängig von dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden, über das die Gemeindebürger bei der Wahl der Ratsmitglieder mitentschieden haben. Sie müssten vielmehr die Zusammensetzung des Plenums in seiner konkreten, durch die Fraktionen geprägten organisatorischen Gestalt verkleinernd abbilden…
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  • 29. Bei der beklagten Vertreterversammlung handelt es sich ebenso wie beim Bundestag und den Gemeindevertretungen um ein gewähltes und demokratisch legitimiertes Organ (§ 80 Abs 1 SGB V). Wird nach den Vorgaben der Satzung der Beigeladenen zu 2) ein Teil der Aufgaben der Vertreterversammlung in den Ausschüssen erledigt, so können die durch die Wahl entstandenen Stärkeverhältnisse der Fraktionen nicht völlig außer Acht gelassen werden. Dass die Bildung der Ausschüsse gesetzlich nicht vorgegeben ist, steht dem nicht entgegen…
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  • 29. Zutreffend weist das SG in diesem Kontext auf die für die Arbeit der Beklagten wichtige Funktion der hier betroffenen Ausschüsse hin… Hauptausschuss… Satzungsausschuss… Finanzausschuss…
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  • 30. In welcher Weise dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit genügt wird, liegt in der Entscheidungsbefugnis des jeweiligen Normgebers... So ist etwa weder die Wahl des Zählverfahrens noch die Größe der zu besetzenden Gremien hierdurch vorgegeben, auch wenn die Festlegung einer bestimmten Mitgliederzahl nicht die Vertretung aller Fraktionen gewährleisten kann...
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  • 30. Eine exakte Spiegelbildlichkeit kann ohnehin durch kein Wahlsystem gewährleistet werden, nicht zuletzt, weil nur ganze Sitze verteilt werden können... Soweit die Spiegelbildlichkeit mit dem Mehrheitsprinzip kollidiert oder die Funktionsfähigkeit eines Ausschusses zu gefährden droht, ist ein Ausgleich unter Gewichtung und Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen herbeizuführen...
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  • 30. Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit hat auch nicht zur Folge, dass stets alle betroffenen einzelnen (Unter-)Gruppen notwendigerweise in jedem Ausschuss repräsentiert werden müssen...
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  • 31. Hier ist außerdem zu berücksichtigen, dass zum einen an die Legitimationskette von den Normunterworfenen hin zum Normgeber bzw den Repräsentanten im Normsetzungsgremium im Bereich der Selbstverwaltung außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung geringere Anforderungen zu stellen sind als im Bereich parlamentarischer Repräsentation…
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  • 31. Erforderlich sind insoweit lediglich ausreichende Vorkehrungen dafür, dass die Interessen der Betroffenen angemessen berücksichtigt werden
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  • 31. Zum anderen sind hier Wahlen betroffen zu gesetzlich nicht vorgesehenen Ausschüssen, die zwar weitreichende Rechte, aber keine eigenständigen Entscheidungskompetenzen haben. Insofern können weitergehende Modifikationen des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit gerechtfertigt sein als im Parlaments- oder Gemeinderecht (vgl BVerfGE 130, 318, 355: „… nur in besonders gelagerten Fällen zulässig“).
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  • 32. Für die „angemessene Berücksichtigung“ der Fraktionen in den Ausschüssen nach § 24 Abs 6 der Satzung bedeutet dies, dass zwar die Stärkeverhältnisse der Fraktionen grundsätzlich entsprechend ihrer Mitgliederzahl zu berücksichtigen sind, im Ergebnis aber keine exakte Spiegelbildlichkeit der fraktionsbezogenen Zusammensetzung des Plenums gegeben sein muss. Deutlich wird dies insbesondere bei der Bildung des Hauptausschusses. Nach § 24 Abs 2 Satz 2 der Satzung gehören ihm sieben stimmberechtigte Mitglieder einschließlich des Vorsitzenden der Beklagten (sog „geborenes Mitglied“) an. Zwar ist davon auszugehen, dass der Vorsitzende der Beklagten von der Mehrheitsfraktion gestellt wird, zwingend ist dies jedoch nicht. Die Fraktionen sind lediglich bezogen auf die sechs verbleibenden Sitze des Hauptausschusses angemessen zu berücksichtigen. Durch die Vorgabe, dass der Vorsitzende – ohne gewählt werden zu müssen – Mitglied des Hauptausschusses ist, hat die Fraktion, der der Vorsitzende angehört, im Ergebnis regelmäßig prozentual ein größeres Gewicht in den Ausschüssen, als dies im Plenum der Fall ist.
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  • 33. Die Wahlfreiheit der Mitglieder der Beklagten steht dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit nicht entgegen….
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  • 33. Gerade der Anspruch der Fraktionen auf proportionale Beteiligung an der Willensbildung gewährleistet auch das Recht des Abgeordneten auf gleiche Mitwirkungsbefugnisse…
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  • 33. Für den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung hat das BVerwG entschieden, dass durch die Anwendung des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit bei der Besetzung der Ausschüsse des Rates eine Einschränkung des freien Mandats in zulässiger Weise durch die geltenden bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben erfolge…
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  • 34. Welche Konsequenzen es hat, wenn eine Fraktion nicht ausreichend Vertreter benennt oder die Mitglieder der Beklagten Kandidaten anderer Fraktionen wählen, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Das BVerwG hat klargestellt, dass diese „mit einer Wahl naturgemäß einhergehende Unwägbarkeiten“ nicht davon entbinden, bei der Gestaltung des Wahlverfahrens die Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie zu respektieren. Insoweit sei es ausreichend, dass jede Fraktion aufgrund der einzelnen Wahlvorschläge die gleiche Chance hat, entsprechend ihrer Stärke im Plenum in die Ausschüsse gewählt zu werden…
    Diese Chance besteht nur dann, wenn vor der Wahl die den jeweiligen Fraktionen zustehenden Sitze festgestellt werden.

Aber, bei allen Anpasungsmöglichkeiten, weist das BSG in Bezug auf dieses Verfahren und die Satzung der KZV Westfalen-Lippe auf folgendes hin:

  • 26. … Soweit die Beklagte den Begriff der angemessenen Berücksichtigung dahingehend versteht, dass die Minderheitsfraktionen nur mit je einem Mitglied in den Ausschüssen vertreten sein müssen, entspricht dies nicht den Anforderungen an eine demokratische Binnenorganisation der Selbstverwaltungsorgane. Da die Mehrheitsfraktion grundsätzlich immer in der Lage wäre, bei Wahlen zu den Ausschüssen für eine Dominanz der eigenen Fraktion zu sorgen, kann die Regelung in § 24 Abs 6 der Satzung nur dahingehend verstanden werden, dass sie dem Schutz der Minderheitsfraktionen dient.
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  • 26. Eine statische Berücksichtigung der Minderheitsfraktionen mit je nur einem Mitglied in den Ausschüssen wird dem nicht gerecht (vgl BVerwGE 119, 305, 308).